Interview

Werner Wutscher über die Startup-Szene: „Ich hoffe, dass die Goldgräberstimmung bald zu Ende ist“

Werner Wutscher. © Christian Lendl
Werner Wutscher. © Christian Lendl

Eigentlich hatte er sich eine Woche Urlaub genommen, doch für ein Interview über den Status quo der Startup-Szene, die er schon sehr lange begleitet, hat er doch Zeit: Werner Wutscher ist kennt als ehemaliger Generalsekretär im Landwirtschaftsministerium und Ex-Rewe-Vorstandsmitglied Politik und Wirtschaft von innen und bringt mit seiner New Venture Scouting Startups und Corporates zusammen. Nebenbei ist er im Vorstand der Austrian Angel Investors Association (aaia), berät AustrianStartups, das GIN-Programm (Global Incubator Network) und die Wirtschaftsagentur Austria und hat selbst in Jungfirmen investiert (u.a. iyzico, IQFoxx, docdoc).

Bei der 5-Jahres-Feier der AAIA haben Sie einen bemerkenswerten Satz gesagt: Die Startup-Community würde sich selbst zu sehr gefallen und in Selbstbeweihräucherung verfallen. Wie haben Sie das gemeint?  

Werner Wutscher: Das ist ein typisches Zeichen von Ökosystemen, die sehr klein sind. Da muss man sich gegenseitig auf die Schulter klopfen und sich immer wieder gegenseitig bestärken. Die AAIA ist jetzt fünf Jahre alt und wir sind sicherlich nicht der einzige Player, der erwachsen geworden ist. Dennoch ist es generell an der Zeit, dass wir den Blick nach außen richten und uns überlegen, welche Beiträge wir gesamtgesellschaftlich und volkswirtschaftlich leisten können. Da haben wir nämlich einiges vorzuweisen.

Wie muss sich die Startup-Szene ändern?

Die Community bringt sich durch die Beweihräucherung selbst unter Druck. Ich bin schon viele andere Bubbles durchschritten und kenne dieses Phänomen ganz gut. Da muss von vielen Stellen und uns selbst, also der Start Up-Community, Integrität und Seriosität eingefordert werden. Von den öffentlichen Stellen, von den Parteien und auch den Medien. Für mich heißt Seriosität: Wir dürfen  nur das versprechen, was wir leisten können. Daran werden wir gemessen. So ist das eben in der Wirtschaft.

Sie sprechen damit auch konkret das Förderwesen an. Beschleunigt oder hemmt das österreichische Förderwesen die Entwicklung hierzulande?

Wir tun immer so, als wäre es nur wichtig, dass Startups Förderungen bekommen. Die haben schon ihre Berechtigung, aber greifen oft zu kurz. Startups können viele Funktionen übernehmen: Sie können bei der Transformation zu einer digitalen Gesellschaft einen wichtigen Beitrag leisten. Wir diskutieren über Generation Y oder Z und die Handhabe dieser fundamentalen Veränderung der Wirtschaft. Dabei wird diese neue Kultur von den Startups bereits gelebt. Traditionelle Unternehmen können mit der nötigen Offenheit viel von Startups lernen.

Die Digitalisierung ist im vollen Gange. Welche Disziplinen meinen Sie genau?

Es ist in jedem Fall so, dass viele Player in unserem Ökosystem wie z.B. im Bereich der Kommunikations-Technologie und bei der Weiterentwicklung der Geschäftsmodelle die Speerspitze der Digitalisierung sind. Dort schaffen wir nachhaltige Arbeitsplätze.

Die SPÖ hat im Wahlkampf angegeben, dass Startups 2016 rund 40 Prozent der Arbeitsplätze geschafft haben. Sehen Sie das als korrekt an? 

Bei den Zahlen bin ich sehr vorsichtig. Die Politik entdeckt vor Wahlen immer die Startups. Wir wollen ernst genommen werden, aber nicht zu einem Allheilmittel stilisiert werden. Wir brauchen neue Rahmenbedingungen und Diskussionen auf Augenhöhe. Wir sind aber nur ein Teil der Wirtschaft. Die Klein- und Mittelbetriebe sind das Rückgrat der Wirtschaft. Für uns sollte es darum gehen, dass wir Kooperationen mit den KMU eingehen, um deren Geschäftsmodelle zukunftsfitter zu machen. Das könnte ein Weg aus unserer eigenen Blase sein.

Derzeit sind es aber vor allem Großunternehmen, die den Zugang zu Startups suchen, und nicht KMU.  

Ich sehe viele familiengeführte Unternehmen, wie zum Beispiel Reinraumtechnik Ortner mit 70 Mitarbeitern, ein Zulieferunternehmen von Infineon, ein spannendes Familienunternehmen. Dort sagt der Eigentümer, dass es neue Themen braucht. Natürlich ist das bei einem KMU schwieriger – dort fehlen die Ressourcen. Es gibt keine eigene Abteilung für Innovation oder Business Development. Genau diese Unternehmen sind superspannend für Startups, weil wenn eigentümergeführte Unternehmen Probleme erkennen, schnell entscheiden und mit den richtigen Partnern schnell umsetzen können.

Derzeit sprießen Acceleratoren-Programme nur so aus dem Boden. Wie sehen Sie diese Entwicklung? 

International ziehen sich viele dieser Programme wieder zurück. In den USA ist die Welle schon seit zwei Jahren vorbei. In Großbritannien gerade auf einem Höhepunkt. Acceleratoren, die sich nur auf ein Unternehmen konzentrieren, hören wieder auf. Cluster-Acceleratoren, wo ein definiertes Thema von mehreren Unternehmen bespielt wird, machen viel Sinn, wenn sie gut geführt sind und einen direkten Marktzugang haben. Wenn die Startups rasch in die Geschäftsmodelle und Felder des Unternhemens hineingezogen werden. Eine Vorbedingung ist Offenheit in der Unternehmenskultur. Wichtig ist keine Startup-Safari zu kultivieren, in der das Unternehmen durch die Glasscheibe die Startup-Kultur betrachten, sondern interaktiv Kooperationen zwischen den Startups und dem Unternehmern schnell und effizient genutzt werden. Unter solchen Rahmenbedingungen können diese Programme sehr viel Sinn machen.

Sektor5, eine Institution der Wiener Startup-Szene, muss zusperren. Fast gleichzeitig sperrt mit weXelerate ein neuer Startup-Hub auf. Einige langjährige Akteure wie Andreas Tschas ziehen sich aus der Szene zurück. Findet derzeit ein Generationenwechsel statt? 

Es gehört zum Erwachsenwerden dazu, dass sich Strukturen ändern, sich Personen verabschieden und neue dazukommen. Beim Sektor5 muss man betonen, dass sie sehr viel Pionierarbeit geleistet haben. Aber es ist schon wichtig, dass man Geschäftsmodelle implementiert, die nachhaltig sind. Die Überfuhr in den Markt muss gelingen. Wettbewerb ist in dieser Szene etwas ganz Normales. Daher sehe ich das als Weiterentwicklung und da ist auch noch viel Potential.

Die Tabakfabrik in Linz, Talent Garden und weXelerate in Wien. Sehen Sie eine Konkurrenzsituation der Hubs? 

Wenn diese Initiativen sich klare unterscheidbare, inhaltlichen Schwerpunkte setzen, dann können sie sich sogar ergänzen. In Österreich hat jede Region ihre wirtschaftlichen Schwerpunkte, drum herum kann man viel bauen. Wenn die Qualität bei der Auswahl und Betreuung der Startups hoch ist, dann steigt auch der Deal-Flow. Die Kriterien müssen stimmen, anhand deren die Startups gewählt werden. In den Bundesländern laufen manche den Startups hinterher, nur damit sie auch eine Rolle spielen können. Das sollte nicht Sinn der Sache sein.

Viele Hubs stürzen sich auf das Blockchain-Thema. Das ist demnach der falsche Weg? 

Ein gutes Stichwort. Alle zwei Wochen wird eine neue Sau durchs Dorf getrieben. Blockchain ist die eine, AI eine andere. Wir müssen uns seriös hinterfragen, was wir da in Österreich leisten können. Nur wenn drei Leute entscheiden, dass wir in einem Bereich Akzente setzen wollen, dann reicht das einfach nicht aus. Andere Regionen sind da schon um Kilometer voraus. Denken wir an Tel Aviv oder das Krypto-Valley Zug in der Schweiz. Die sind seit Jahren auf dem Thema drauf. Da muss man sich überlegen, welche Rolle wir überhaupt spielen können.

Bei Startups kommt ein ICO nach dem anderen an die Öffentlichkeit. Wie bewerten Sie diesen neuen Trend? 

Eine fundierte Auseinandersetzung mit dem Thema ist sehr wichtig. Wir verfolgen das intensiv mit einer Beteiligung in Singapur. Viele wollen im Windfang mitschwimmen. Allerdings ist das unternehmerische Risiko nicht ohne. Auch die Bewertungen sind mitunter absurd und Rahmenbedingungen fehlen noch völlig.

Sie haben von der Fokussierung auf die Verticals gesprochen. Wie stellen Sie sich das in Österreich idealtypisch vor? 

Vor allem dort, wo wir bereits viel öffentliches Geld in Form von Forschungs- oder Innovationsförderungen ausgegeben haben, ist dieser Fokus wichtig. Wenn jedes Bundesland seine eigene Initiative startet, macht das einfach keinen Sinn. Die Diffundierung in die Wirtschaft ist in vielen Bereichen noch nicht gelungen. Im Life-Science-Bereich haben wir es geschafft. Das Thema ist in der Öffentlichkeit aber schwer rüber zu bringen. Aber in dem Bereich gibt es auch in Österreich die internationalen Exits, die wir dringend brauchen. Dort sind wir eine Größe. Daran können sich andere Branchen ein Beispiel nehmen.

Wieso gelingt das nur dort? 

Wir sind sehr gut darin, Euro in Forschung zu verwandeln, aber Forschung wieder in Euro zu wandeln, also Business zu machen, fällt uns schwer. Ein kluger Ansatz wäre, auf bestehende Stärken zu setzen. Zum Beispiel die österreichischen Cluster wie Automotive oder Umwelttechnologie zu nutzen und sich da drauf zu setzen. Neben dieser Schwerpunktsetzung ist Diversität extrem wichtig. Die Kunst ist es, die verschiedenen Themen so zu verschneiden, dass sie interdisziplinär genutzt werden können. Wir neigen dazu, nur in die Tiefe zu denken, aber nicht in die Breite. Für eine so kleine Volkswirtschaft wie unsere wäre das der richtige Ansatz. Zu nutzen, was da ist und es für andere Disziplinen zu öffnen.

Was sind Ihre Kritikpunkte an der Förderlandschaft?

Wir haben v.a. durch die regionalen Förderungen Verzerrungen produziert. Ich möchte unser Ökosystem mit einem Garten vergleichen: Jede Region in Österreich will sein Fähnchen aufstecken und ein paar schöne Blumen haben. Aber bei dem Thema müssen alle zusammen helfen: Es geht am Ende um einen bunten Garten und keine kleinen einfarbigen Schrebergärten. Beim bunten Garten weiß man bei der Ernte auch nicht, ob es der Regen, die Erde oder der grüne Daumen des Gärtners war, der alles zum Blühen gebracht hat. Wir bauen in Österreich viele Schrebergärten nebeneinander auf, und wehe, eine Blume wächst über den Zaun. Dann wird sie sofort abgeschnitten,  weil sie nur in Wien, St. Pölten oder Klagenfurt stehen darf. Das ist ein Anachronismus bei unseren Themen. Wir kennen die Redundanzen und den Wahnsinn im Förderbereich. Da werden viele Gründer vom Fokus abgelenkt, wenn sie die siebte FFG-Förderung einreichen. Nicht falsch verstehen: Wir sind bei Pre-Seed und Early Stage mit FFG und AWS super aufgestellt, aber es ist anachronistisch, dass wir in den Anschlussfinanzierungen und Exits  nicht auch die Ernte in Österreich einfahren.

Welche Ansätze verfolgt die AAIA in diesem Bereich?

Wir müssen weg davon, nur unseren eigenen Garten zu beackern, sondern das ganze Feld im Auge behalten. Deshalb arbeiten wir heuer zum ersten Mal eng mit der AVCO und den AustrianStartups zusammen und haben gemeinsam ein Papier zu den Regierungsverhandlungen erarbeitet, das die Finanzierung eines Unternehmens entlang des ganzen Lebenszyklus  darstellt. Von der Gründung, Pre-Seed, Startup, Catchup bis zum Exit. In der PreSeed-Phase sind neben den Förderungen auch die Aktivitäten von Business Angels essentiell. Wir fordern da Maßnahmen, die Investoren helfen, wie zum Beispiel das Gewinn und Verlust nicht gegengerechnet werden können. Wir wollen eine kleine GmbH, mit der einfach Geschäftsanteile veräußerst werden können. Ein großes Thema ist die Finanzierungslücke bei Series A und B, wo wir Anreize für institutionelle Investoren fordern und ein Dachfonds-Modell vorschlagen.

Startups sind nur ein kleiner Teil der Wirtschaft. Wem sollte sonst unter die Arme gegriffen werden?

Auch der Mittelstand braucht dringend eine Reform, um die Finanzierung des Wachstums sicherzustellen. Zum Beispiel mittels Dachfonds. In Dänemark gibt es ein spannendes Modell: Dort übernimmt der Staat gewisse Garantien. Dadurch sind institutionelle Investoren wie Pensionsanstalten und Versicherungen bereit, auch zu investieren. Der Dachfonds steckt 80 Prozent in den Mittelstand und 20 Prozent in Startups. So sehr wir AWS und FFG lieben: Es ist ein großer Unterschied, ob öffentliche Stellen Geld in Unternehmen stecken oder private Investoren wie Business Angels: Die wollen ihr Geld zurück.

Der letzte Schritt ist die Frage der Börse. Wenn ich an den Drittmarkt denke. Diese Perversion, dass wir wegen Geldwäsche-Richtlinien österreichische Unternehmen von Listungen ausschließen, bei internationalen aber darüber hinwegsehen. Für viele Unternehmen wäre ein IPO in Österreich sicher spannend. Insgesamt ist es absurd, dass wir die Startups hier starten und mühsam entwickeln, sie dann aber in Berlin oder London durchstarten. Wikifolio ist ein fantastisches Beispiel dafür, wie es in Zukunft nicht mehr laufen sollte.

Welche Schritte helfen noch beim Erwachsenwerden? 

Die Bereinigung steht am Anfang. Wichtig war und ist der Aufbau von Know-how und das Weitergeben von Wissen. Das ist wichtig für alle: die Politik, die Medien und auch wir selbst müssen uns professionalisieren. In den traditionellen Unternehmen müssen nachhaltige Anknüpfungspunkte für Startups geschaffen werden. Neben den Events, der PR und den Vorständen muss auch das Mittelmanagement mitziehen. Medien müssen über die Fakten aufklären. Je mehr die Menschen verstehen, dass Startups ein besonderer Teil der Wirtschaft sind, der sehr viel zur Innovation beitragen kann, desto klarer wird das Bild. Ich hoffe, dass die Goldgräberstimmung bald zu Ende ist.

Was erhoffen Sie sich von der kommenden Regierung? 

Für die neue Regierung wird es zentral darum gehen, ob sie mit einem Experten-Team in der Lage sein wird, die Probleme wirklich anzupacken und vor allem Unternehmertum positiv zu interpretieren. Ich bin überzeugt, dass dies einer der größten Hindernisse für viele Reformen ist. Außerdem wird es wichtig sein, dass die Mitglieder der Bundesregierung unsere Themen verstehen. In der letzten Legislaturperiode hat uns Harald Mahrer verstanden, der Bundeskanzler sicher auch. Die Frage wird sein, ob es jetzt Leute in der Regierung geben wird, mit denen wir einen Dialog auf Augenhöhe führen können.

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