Autonome Fahrzeuge

TTTech: „Das Auto wird ein Kokon, ein dritter Space zwischen Arbeit und Privatleben“

Volkswagens Konzept des I.D. Vizzion. © Volkswagen AG
Volkswagens Konzept des I.D. Vizzion. © Volkswagen AG
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Ein 75 Millionen Euro schweres Investment von Samsung; eine Partnerschaft mit Chinas größtem Autohersteller SAIC (Shanghai Automotive Industry Corporation); Technologie für das Fahrassistenz-System des teilautonom fahrenden Audi A8, der als erste Serienproduktion weltweit auf Level 3 fahren kann (Trending Topics berichtete). Die Wiener Firma TTTech hat sich über die Jahre zu einem der Weltmarktführer bei Systemen für selbstfahrende Autos etabliert. 1998 als Spin-off der Technischen Universität Wien gestartet, ist TTTech in den vergangenen 20 Jahren zu einem Unternehmen mit Standorten in neun Ländern, mehr als 500 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von rund 75 Millionen Euro angewachsen.

Dementsprechend spannend ist, es ein Gespräch mit TTTech-Vorstand Georg Kopetz über Gegenwart und Zukunft selbstfahrender Autos zu führen. Der Manager hat als Mitgründer des Unternehmens von Beginn an die Entwicklung autonomer Fahrzeuge begleitet – etwa damals, als bei den Darpa Grand-Challenges vor mehr als zehn Jahren erstmals Roboterautos in der Mojave-Wüste auffuhren.

Trending Topics: Sie arbeiten eng mit Audi aus der Volkswagen-Gruppe und mit SAIC, dem größten chinesischen Autohersteller, zusammen. In den USA will Waymo bereits dieses Jahr den kommerziellen Betrieb seiner Robotertaxis starten. Wann werden in Europa die ersten autonomen Fahrzeuge fahren?

Wir arbeiten mit diesen beiden und noch weiteren OEMs zusammen, die aber nicht öffentlich kommuniziert werden. Aber zur Frage: Wir glauben, dass man auf Autobahnen bei höheren Geschwindigkeiten in drei bis vier Jahren teilautonom fahren kann. Die Plattform und die Technologie dafür sind vorhanden, es geht noch eher um die Zulassung und die Validierung. Und es ist auch eine Frage der Konsumentenakzeptanz.

Stichwort Konsumentenakzeptanz: Bei Uber und Tesla gab es in den letzten Wochen die ersten Verkehrstoten im Zusammenhang mit selbstfahrenden Autos. Verschreckt das Konsumenten?

Mit neuen Technologien muss man sehr vorsichtig und sorgfältig Schritt für Schritt vorgehen. Wir wollen das in gesicherten Umfeldern bei Maximalgeschwindigkeiten von 50, 60 km/h erst mal erproben und nur auf Autobahnen und nicht in Städten. Man darf nicht erwarten, dass es morgen eine Revolution gibt. Ich bin skeptisch bei Ansagen, dass jemand bis Ende des Jahres autonom fahren wird. Die Rückschritte, die durch die zu frühe Verbreitung von Technologien gerade verursacht werden, nützen dem Thema sicherlich nicht.

Was man auch sagen muss: Am vergangenen Osterwochenende gab es einen Verkehrstoten. 1976 sind 39 Menschen am Osterwochenende gestorben, und damals gab es viel weniger Autos, und die Leute sind im Durchschnitt langsamer gefahren. Da sieht man schon, dass moderne Sicherheits- und Assistenzsysteme und neue Technologien viel Fortschritt bringen, man muss das immer im Kontext sehen. Aber in den USA gibt es viele Cowboys, da muss man aufpassen, dass man nicht in etwas hineingezogen wird. Uns ist das Sicherheitsthema schon immer ein großes Anliegen gewesen.

Wenn sich immer mehr autonome Fahrzeuge in den Verkehr mischen, wird dieser Mischverkehr ein Problem?

Diesen Mischverkehr gibt es heute schon, manche Autos können sich bereits an die Geschwindigkeit des Wagens vor ihnen anpassen. Auf der Autobahn sehe ich das Problem des Mischverkehrs nicht, in der Stadt aber schon. Man wird noch die Kommunikation zwischen Autos, menschlichen Fahrern und Passanten klären müssen. Die Leute müssen erkennen, dass sie es mit einem autonomen Fahrzeug zu tun haben.

Wie kann man das lösen?

Eine Idee, die mir gefällt, ist, dass ein autonomes Fahrzeug einen Zebrastreifen auf die Straße projiziert, um allen Verkehrsteilnehmern zu signalisieren, dass es einen Fußgänger über die Straße lässt. Gerade für die Städte gibt es ein unheimliches Innovationspotenzial durch die Vernetzung von intelligenten Fahrzeugen und ihrer Umgebung.

Autonomiestufe Was macht der Fahrer?
Level 0 Fahrer fährt selbst
Level 1 Assistenzsystem helfen bei Fahrzeugbedienung (z.B. Tempomat)
Level 2 Teilautomatisiertes Fahren (z.B. automatisches Einparken, Spur halten, Stauassistent)
Level 3 Hochautomatisiertes Fahren (z.B. auf der Autobahn fahren und Spur wechseln). Fahrer muss in der Lage sein, jederzeit die Kontrolle zu übernehmen
Level 4 Vollautomatisiertes Fahren, Auto fährt dauerhaft selbstständig. Schafft das Auto eine Situation nicht, wird Kontrolle an Fahrer übergeben
Level 5 kein Fahrer im Auto notwendig

Selbstfahrende Autos, so liest man oft in Analysen, werden nicht mehr gekauft, sondern bei einem Mobilitäts-Dienstleister wie ein Taxi gemietet. Wie wird das den Automarkt beeinflussen?

Die Zeit, die wir im Auto verbringen, ist Quality Time. Es gibt kaum einen Ort, an dem wir so ruhig und abgeschirmt sind. Das Auto wird ein Kokon, ein dritter Space zwischen Arbeit und Privatleben. Das bedeutet auch, dass die Menschen diesen Raum als ihren eigenen Raum haben wollen. Wer nur kurze Strecken ab und zu fährt, der wird sich kein selbstfahrendes Auto kaufen, aber wer täglich längere Strecken täglich fährt, der wird sich sein Auto so ausstatten wollen, dass diese vielen Stunden pro Woche möglichst gemütlich sind. Das Auto wird dann ein persönlicher Kokon mit variabler Ausstattung – eine Arbeitsumgebung unter der Woche, und am Wochenende wird der Workspace zu einem Freizeit-Space, in dem man sein Mountainbike oder seine Familie unterbringen kann. Die Fenster werden Bildschirme sein und Augmented-Reality-Funktionen haben, um die Umgebung mit Zusatzinformationen anzureichern.

Aber müssen Autohersteller Absatzeinbußen fürchten?

All diese neu gewonnene Freizeit im Auto birgt sehr viele Geschäftsmöglichkeiten. Es gibt Studien, die sagen, dass die vielen neuen Services im Auto den Markt in der Wertschöpfung verdoppeln werden. Aber natürlich: die Nutzung der Autos wird sich stark verändern, in Städten wird aus kaum mehr Fahrzeuge geben, die parken. Die Autos werden selbstständig in ein Parkhaus fahren, oder man wird sein Auto, wenn man es gerade nicht braucht, an andere als Robotertaxi vermieten. Es gibt sogar Konzepte, bei denen man unterschiedliche Karosserien für unterschiedliche Situationen auf eine Plattform per 3D-Drucker baut. Man könnte sich etwa eine Cabrio-Karosserie draufsetzen bei Bedarf, und wenn die Familie wächst, eine Karosserie eines SUV. Da gibt es so viel Innovationskraft. Bei so einem Trend denkt man oft, dass das alles ist, aber eigentlich steht man noch ganz am Anfang.

Reizen Sie diese vielen neuen Geschäftsmodelle?

Wir bleiben bei dem, was wir gut können, da muss man aufpassen, dass man sich nicht verzettelt. Einen echten Inkubator haben wir nicht, aber wir haben den Plan, einen Innovation Space für die Mitarbeiter zu schaffen, wo sie sich verwirklichen können. Aber so etwas muss in Kooperation mit anderen Innovationsführern passieren, die ohnehin zu uns kommen.

Georg Kopetz und Stefan Poledna von TTTech. © TTTech
Georg Kopetz und Stefan Poledna von TTTech. © TTTech

TTTech gibt es seit 20 Jahren. Haben Sie damals schon geahnt, dass Ihre Firma groß ins Geschäft mit selbstfahrenden Autos einsteigen wird?

Wir haben uns am Anfang, vor mehr als 20 Jahren, damit beschäftigt, wie man Netzwerke in Autos und Flugzeugen zuverlässig machen. Also die Frage: Wie kann man sicherstellen, dass Information über elektronische Kabel sicher von A nach B kommt. Solche Systeme braucht man aber auch, damit man autonom fahren kann. Es gab schon in den 1990ern Versuchsfahrten von Mercedes auf deutschen Autobahnen mit dem Ziel, den Fahrstreifen zu folgen.

Wie sind Sie dann zu dem Thema gekommen?

Die Carnegie Mellon University hat uns 2005 angefragt, ob wir die erste Darpa Grand-Challenge sponsern, bei der erstmals Roboterautos durch die Wüste fuhren. Wir hatten zwei der Top-3-Teams mit unseren Produkten unterstützt und waren dabei, wie wirklich erstmals Roboterautos gefahren sind. Wir sind sicher Pioniere in dem Bereich. In den nächsten Jahren wurde das dann ein Forschungsthema, und mit dem Siegeszug neuer Kameratechnologien und immer größerer Rechenleistung war es vor 5, 6 Jahren absehbar, dass man bald teilautonom fahren kann. Heute sprechen wir von teilautonomem Fahren auf Level 2 oder Level 3. Zu einer echten Autonomie auf Level 4 oder 5, bei der von A nach B ohne Fahrer gefahren wird, ist noch ein weiter Weg zu gehen.

Sie haben zuvor eine sehr positive Utopie der Mobilität von morgen skizziert. Es gibt aber auch Dystopien – Roboterautos nehmen Jobs weg oder werden nur in Wohngebieten von wohlhabenden Menschen fahren.

Ich bin ein Optimist. Ich glaube, dass es wichtig wird, die Menschen an der Wertschöpfung, die Roboter erzielen, beteiligen müssen. Ich bin ein großer Anhänger von Aktienkapital und davon, dass möglichst breite Bevölkerungsschichten Aktien haben. Auch Mitarbeiterbeteiligungsprogramme sind wichtig. Maschinen werden immer mehr Wertschöpfung erzielen, und es ist schlecht, wenn diese Wertschöpfung nur zu einigen wenigen Kapitaleignern fließt. In einer demokratischen Gesellschaft muss das Eigentum breit verteilt sein. Man muss die Menschen von staatlicher Seite gut ausbilden, weil die Ausbildung ist in Wahrheit das Erfolgskriterium, sich in einer herausfordernden und komplexen Welt zurechtzufinden. Wir sind die erste digitale Generation, und wir müssen in der analogen und in der digitalen Welt leben. Und die Kunst ist, sich in beiden Welten auszukennen, und das stellt Menschen vor große Herausforderungen. Die Leute spüren diese Umbrüche, und da muss man ihnen die Ängste nehmen.

Bleiben wir kurz beim Thema Wertschöpfung. Bieten Sie Ihren eigenen Mitarbeitern Beteiligungsprogramme?

Ja. Wir haben aber erlebt, dass die Mitarbeiter in Österreich nicht so stark darauf abzielen, weil die Kultur in Österreich, Aktien zu halten, nicht so stark ausgeprägt ist. Aber es gibt viele, die das sehr schätzen, und deswegen will ich das weiter betreiben und ausbauen.

Sie haben auch das Thema Bildung und Fachkräfte angesprochen. Aktuell gibt es etwa einen Fachkräftemangel bei Programmierern. Wie kann man dieses Problem lösen?

Man muss das lebenslange Lernen nicht nur predigen, sondern leben. Und wir müssen offen sein, gute Fachkräfte aus dem Ausland bei uns zu integrieren. Diese Leute bringen Wertschöpfung in Österreich und schaffen dadurch neue Arbeitsplätze im Land. Wien war immer schon ein Melting Pot der Nationen, deswegen müssen wir kulturell offen sein, Leute bei uns zu integrieren. Wir suchen weltweit die besten Köpfe um unsere Technologieführerschaft beim autonomen Fahren aber auch in der Luft- und Raumfahrt und im Industrial Internet weiter auszubauen. Alleine am Standort Wien suchen wir aktuell rund 90 neue Mitarbeiter.

Der Audi A8 in dichtem Verkehr. © Audi AG
Der Audi A8 in dichtem Verkehr. © Audi AG

Wann werden Sie Ihr erstes vollautonomes Fahrzeug haben, und welches Modell wird es sein?

Es wird ein deutsches Modell sein, ich halte sehr viel von der deutschen Automobilindustrie, und die ist bei dem Thema auf sehr gutem Wege. Ein vollautonomes Fahrzeug werde ich in fünf bis zehn Jahren haben. Aber ich bin auch davon überzeugt, dass ein Mensch immer die Überhand haben sollte. Der Mensch soll im Mittelpunkt stehen und nicht die Maschine.

Letzte Frage: Die neu gewonnene Zeit auf der Autobahn, wenn das Fahrzeug steuert – wie werden Sie die dann nutzen?

Das kommt drauf an, in welchem Kontext ich unterwegs bin. Im Berufskontext werde ich die zeit nutzen, um mich mit meinen Kollegen abzustimmen, und wenn ich mit der Familie unterwegs bin, werde ich dafür verwenden, ihnen etwas beizubringen, mit ihnen zu spielen und sie zu unterhalten. Und ein Wunschszenario: Die Autos sollen so sicher werden, dass man in ihnen schlafen kann. Das wäre echtes Level 4, da können die Augen zu sein.

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