Udo Urbantschitsch

Red Hat: „In der Open Source ist es egal, wo du herkommst oder wer du bist“

Udo Urbantschitsch ist Country Manager bei Red Hat. © Red Hat
Udo Urbantschitsch ist Country Manager bei Red Hat. © Red Hat

Udo Urbantschitsch ist Country Manager Austria beim US-Open-Source-Riesen Red Hat. Das Unternehmen wurde zwar vor rund zwei Jahren von IBM übernommen, laut Urbantschitsch ist es aber ein „globales Unternehmen“ mit weltweiten Mitarbeitern und lediglich US-amerikanischem Hauptsitz. Die Besonderheit von Red Hat: Eine neuartige Unternehmenskultur mit dem Schlagwort „Open Decision Framework“. Richtige Hierarchien gibt es nicht, gepflegt wird ein sehr offener Umgang und eine breite Diskussionsbasis. Was hat es damit auf sich?

Open Source: „Rang und Namen sind hier egal“

„Wir haben festgestellt, in der Open-Source-Welt kann man alles erreichen, wenn man ein gewisses Standing hast – wenn du für etwas stehst, wenn du etwas beigetragen hast, wenn du einen Mehrwert lieferst“, erzählt Udo Urbantschitsch. So funktioniere Open Source – „wenn du diesen ‚Merit‘ nicht hast, kannst du dich hinten anstellen, egal wer du bist“. Rang und Namen seien hier egal. Wenn du nichts beigetragen hast, warum solltest du etwas bekommen? Genau dieses Prinzip habe Red Hat 1:1 auch auf das Unternehmen umgemünzt. „Wir haben verstanden, dass wir als Open-Source-Unternehmen einfach offen agieren müssen. Darum haben wir das Thema „Meritocracy“ bei uns sehr stark eingeführt“, fährt Urbantschitsch fort. Ein Gespräch über neue Unternehmenskulturen, die Suche nach den richtigen Mitarbeitern und die Schwierigkeiten, ein Home-Office-Gesetz in Österreich auf den Weg zu bringen.

Trending Topics: Wie darf man sich diese Meritocracy vorstellen?

Udo Urbantschitsch: Die Idee ist hier, dass nicht die ranghöchste Idee oder die Idee mit dem höchsten Budget gewinnt, sondern die beste Idee soll gewinnen. Das heißt, es wird verdammt viel diskutiert. Ich bringe eine Idee rein und muss mir meist erst einmal eine dicke Weste anziehen – ich werde ja gleich darauf gechallenged. Das erinnert oft an eine Defensio wie bei der Doktorarbeit, die Idee wird dann in ihre Einzelteile zerlegt. Wenn die Mehrheit dann merkt, das ist eine gute Idee, nur dann wird sie auch weiter verfolgt.

Ein anderes Beispiel: Wenn der Chef daherkommt und sagt, macht das und das, gibt es viele Kollegen, die das auch hinterfragen. Erschließt sich den Kollegen der Sinn nicht, machen sie es auch nicht. Das klingt jetzt vielleicht sehr theoretisch, aber das machen wir wirklich so. Du kommst bei uns nicht rein, weil du irgendeinen Titel bekleidest, und machst dann irgendwelche Ansagen. Stichwort: merit. Das macht unsere Kultur sicher sehr speziell, erzeugt aber auch eine unfassbare Loyalität.

Wie äußert sich das?

Unsere Kolleginnen und Kollegen sind aufgefordert, immer bei allen Diskussionen auch wirklich teilzunehmen und ihre Meinung zu äußern. Das heißt, wir haben da ein etwas spezielles kulturelles Rezept, weil bei uns die Mitarbeit erwünscht und gefordert ist. Nicht einfach irgendetwas übernehmen und dann einfach exekutieren, sondern wirklich mitdenken und mitarbeiten. Ich kann heute als Country Manager von Österreich genauso zu unserem weltweiten Chef von einem gewissen Produkt gehen und sagen, ich hab da ein Problem in Österreich, ich habe gesehen, das funktioniert bei den Kunden so nicht. Dann wird mir auch zugehört. Da braucht es keinen riesen Business-Case und drei andere Länder, die das bestätigen, dass das uncool ist.

Das klingt in der Theorie wunderbar, wird in der Praxis aber mitunter auch Probleme schaffen. Oder?

Sagen wir Herausforderungen. Aber natürlich, das stimmt schon – unser Zugang hat auch ein paar Downsides. Erstens: Wir sprechen damit auch einen gewissen Typus Mensch an. Plakativ: Das graue Mäuschen oder der Mitarbeiter, der sich nicht darstellen und einfach seine Arbeit machen will, die werden es mitunter bei uns schwer haben. Das muss man ganz offen und ehrlich sagen. Meritocracy ist aber nicht Anarchie, wir ziehen aber auch gerne anarchistische Typen an. Trotzdem gibt es dann immer irgendjemanden, der Entscheiden muss. Wir sind auch keine Basisdemokratie. In einem riesigen Projekt hast du oft tausende Leute, die dazu beitragen – aber es gibt einen kleinen Kreis an sogenannten Maintainern, die sagen, das machen wir, das machen wir nicht. Das müssen sie aber immer begründen. Wenn da oft Fehlentscheidungen getroffen werden, kann es sein, dass sich andere Personen dem Projekt einfach entziehen.

Es gibt demnach auch keine Vorgaben, wer an welchem Projekt arbeitet?

Genau, da gibt es überhaupt keine Vorgaben. Unsere Entwickler haben auch einen gewissen zeitlichen Spielraum zur Verfügung, wo sie an Projekten teilnehmen sollen, die sie interessieren. Wir als Company sollten in der Open-Source-Welt mehr geben als nehmen, darum dieser Zugang. Damit erzeugen wir Loyalität, diesen Buy-in. Wir nehmen nicht nur raus, wir geben immer mehr rein. Das ist natürlich nicht nur altruistisch, wir sind auch nicht die Caritas, aber wir haben einfach gesehen, dass das Loyalität auch in dieser Open-Source-Welt erzeugt.

Das System lässt sich ja nicht auf jeden Bereich umlegen, das stelle ich mir sehr schwierig vor. Schauen wir auf Coinbase: Der CEO dort hat gewissermaßen verboten, im Unternehmen politisch zu diskutieren. Das wäre das krasse Gegenteil von eurem Zugang, ist aber auch eine Form von Unternehmenskultur, nur deutlich hierarchischer gesteckt. Ist euer System besser?

Für mich ja. Wie immer ist das Modell, das wir haben, unser Open Decision Framework, fast perfekt. Die Umsetzung, da menschelt es dann, da muss man sich dann zusammenraufen. Warum? Dieses Konzept nennen wir die „Open Organisation“. Das bedeutet, wir unterscheiden zwischen Komplexität und komplizierten Dingen; zwischen komplex und kompliziert. Kompliziert ist ein analoges Uhrwerk, viele Rädchen, aber man kann das erlernen und exekutieren. Das gibt es bei uns auch – beispielsweise beim Support vom Kunden. Da brauchen wir nicht diskutieren, da müssen wir einfach helfen. Oder Gehaltsabrechnungen: Die Menschen gehören bezahlt, da gibt es auch nichts zu besprechen – das gehört einfach gemanaged, diese Beispiele sind „closed“.

Komplexe Dinge kann ich nicht managen, da brauche ich Input von außen, da müssen Leute neuartige Problemlösungen analysieren und sich den Kopf zerbrechen. Das hat auch etwas Kreatives und darum kann ich nichts exekutieren. Mitunter ist es aber schwierig festzulegen, wann wir „open“ sind und wann „closed“. Von der grundsätzlichen Methodologie her finde ich unser Konzept aber extrem lässig.

Wie können andere Unternehmen das einführen?

Das Fragen uns einige Kunden, aber einfach ist das nicht. Das Konzept passt auch einfach nicht zu jedem Kunden. Wir begleiten aber oft bei großen Unternehmen sogenannten „Innovations-Keimzellen“. Kleine Projekte, kleine Abteilungen, wo der Zugang einfach etwas offener gestaltet wird. Da darf natürlich kein Druck im Kessel sein, da muss man innovieren und versucht neue Modelle und Zusammenarbeitsthemen aus. Wir haben auch Konzepte, die man einfach kaufen kann von uns – bezahltes Consulting gewissermaßen. Wir machen mit dem Kunden dann ein Innovation-Lab und arbeiten für einige Wochen an den Challenges des Kunden. VW in Deutschland hat das beispielsweise schon in Anspruch genommen. Wir versuchen, dem Kunden unsere Denkweise, unsere Philosophie zu vermitteln.

Was allerdings voraussetzt, dass die Mitarbeiter bei VW das System auch umsetzen können. Wie entscheidet ihr denn, wenn man sich bei euch bewirbt, ob das passen könnte oder nicht?

Wir haben einen Interview-Prozess bei uns und nennen das „Behavioral Interview“. Was für uns vollkommen irrelevant ist, ist die jeweilige Profession oder das jeweilige technische Know-how. Das ist für uns zwar auch wichtig, hauptsächlich geht es uns aber darum, wie du von deinen Wertevorstellungen her bist. Red Hat hat ganz klar definierte Wert-Kodexes. Klar, das hat jedes Unternehmen, aber bei uns wird das wirklich ernsthaft gelebt. Wir haben ja keine Produkte die wir schützen können, insofern ist das People-Team einfach extrem wichtig. Was wir machen, ist ausschließlich von den Leuten abhängig, die wir haben. Nimm uns die Leute weg und du kannst Red Hat zusperren. Unser Marktwert sind unsere Kultur und unsere Mitarbeiter.

Wenn Kultur und Geschäftsmodell wechselwirken, wie das bei euch der Fall ist, dann heißt das im Umkehrschluss, dass ich das nicht überall so einführen kann. IBM, Microsoft und Co müssten dann ja erst das Geschäftsmodell anpassen, um eine offene Kultur einführen zu können. Die Culture lässt sich ja nicht einfach auf ein bestehendes Konzept pressen.

Super Punkt. Du kannst nicht einfach sagen, ab morgen sind wir kritisch oder selbst reflektierend – das wird so nicht gehen. Das gilt auch für unsere Kunden. Ich glaube, da braucht es Keimzellen und ausweisbare Erfolge, die am Ende des Tages auch monetär messbar sein müssen. Jede Unternehmung hat am Ende die Wertschöpfung als großes Grundkonzept – was auch immer Wertschöpfung im speziellen Fall bedeutet. Meistens halt Gewinn. In der Denke der Wertschöpfung muss ich diese kulturellen Erfolge auch messbar machen.

Das merken wir auch bei großen Software-Herstellern. Ich glaube, es gibt keinen Hersteller mehr, der nicht sagt, wir sind auch eine Open-Source-Company. Das kann man diskutieren. Wie misst du das? Open Source ist gerade so ein Hype. Ich glaube, das ist so, weil ich die Komplexität, die uns jetzt in der IT einholt, gar nicht mehr alleine im Kämmerlein lösen kann. Wenn ich mich kulturell drehe, wird sich auch mein Geschäftsmodell drehen…müssen, ein Stück weit. Das sehen wir auch in der Digitalisierung, Geschäftsmodelle drehen sich hier teils extrem.

Was wir gemerkt haben ist, dass, wenn du dich entschlossen hast, einen kulturellen Shift zu machen, dann ist das erst einmal Top-Down. Da muss vorne der CEO stehen und sagen, das machen wir jetzt. Dann braucht es aber auch die Mitarbeiter, die sagen, wir machen das, wir haben das in uns drinnen. Diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kristallisieren sich in der Regel beim Projekt heraus.

Hat Corona plus die Folgen von Corona die Open-Source-Thematik noch gepusht?

Absolut. Ich merke, dass die Frequenz, in der wir mit Kunden sprechen, massiv zugenommen hat. In der Open Source-Welt ist es egal, wo du herkommst oder wer du bist. Viele Unternehmungen machen diesen Mindshift gerade durch. Wir müssen damit leben, dass wir künftig vielleicht öfter disconnected arbeiten. Das bedingt ja auch, dass du transparenter sein musst, dass du auch jemandem, der auf der anderen Seite des Globus arbeitet mit Informationen versorgst, damit er oder sie überhaupt etwas beitragen kann. Ich glaube, das ist tatsächlich auch eine Notwendigkeit, mich hier kulturell mehr zu öffnen. Unser Open Decision-Framework heißt aber nicht, alle haben sich lieb, aber an Entscheidungen sollen alle teilhaben und Teil der Lösungsfindung sein. Dann hast du ein viel höheres Buy-in als bei „normalen“ Entscheidungen.

Arbeiten rund um den Globus setzt allerdings auch Home Office-Regelungen voraus. Was muss sich in Österreich ändern, damit wir so eine Kultur überhaupt einführen können? Rein rechtlich ist das derzeit ja noch nicht wirklich möglich.

Ich weiß. Das ist ein politisches Thema, bei dem ich mich ganz klar positionieren kann. Das ist für mich ein ganz absolutes Must-Have. Wir brauchen ein ganz klares Reglementarium, wie wir das Home Office rechtlich regeln.  Ich glaube, nach Covid-19 wird die Arbeitswelt anders ausschauen – und da braucht es einen ganz klaren gesetzlichen Rahmen. Home Office ermöglicht es, Talente zu akquirieren, die vielleicht geopolitisch nicht passen. Ich stelle nicht ein nach Postleitzahl, ich stelle dann nach Fähigkeiten ein – und habe so die Chance auf ganz anders Potenzial in meiner Firma. Das müssen wir rechtlich ermöglichen.

Anmerkung: Wir haben den Artikel um 17:07 aktualisiert.

+++34 Mrd. Dollar: Warum IBM mit Red Hat die größte Software-Übernahme der Geschichte macht+++

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