Interview

„Die Verlage sehen immer noch nicht, dass Google und Facebook nicht böse sind“

David Böhm, Gründer von Newsadoo. © Fabian Krenn
David Böhm, Gründer von Newsadoo. © Fabian Krenn
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Die Entwicklungen in Australien halten derzeit die Medienwelt in Atem. Während Google sich einverstanden erklärte, dem Medienriesen News Corp. viel Geld für die Verwendung von Content in seinen digitalen Produkten zu zahlen, hat Facebook kurzerhand das Sharing von News-Snippets in Australien abgedreht – mit möglicherweise verheerenden Folgen für Publisher, die auf Facebook-Traffic angewiesen sind.

In Europa werden die Entwicklungen genau beobachtet – auch von David Böhm, der mit seinem Startup Newsadoo eine europäische Alternative zu den US-Plattformen baut, über die Nachrichten konsumiert werden. Im Interview erläutert er, was da gerade geschieht und wie er zum Thema Leistungsschutzrecht steht.

In Australien wird gerade Online-Mediengeschichte geschrieben

Newsadoo ist angetreten, um Publishern und Lesern eine europäische Alternative zu Google News und Konsorten zu bieten. Wie bewertet ihr die Entwicklungen in Australien?

David Böhm: Wir sind angetreten, weil wir die zunehmende Abhängigkeit der Verlage von Google und Facebook als große demokratiepolitische Bedrohung für Europa gesehen haben. Diese Abhängigkeit ist für niemanden gut, außer für Google und Facebook. Und wir sind angetreten, weil wir eben nicht der Meinung waren, dass wir einfach eine Mauer rund um Europa bauen, und über konstruierte Gesetze die guten, alten Zeiten wieder zurückholen können. Google und Facebook sind nicht böse, wie es oft dargestellt wird, sie sind einfach richtig gut indem was sie machen.

Die Verlage haben sich zu lange darauf ausgeruht, dass sie in der Vergangenheit richtig gut waren, und sind im Digitalen in eine Abhängigkeit geraten, die ihnen erst bewusst wurde, wo es schon zu spät war. Unser Ansatz ist aber: Wir müssen in Europa eine Lösung schaffen, die im News-Segment einfach besser ist, oder zumindest gleich gut. Eine Lösung die den User begeistert, wo dann Europa wieder eine Chance hat, selbst zu agieren, anstatt permanent versuchen zu müssen, über Gesetze zu reagieren.

Was passiert da gerade am anderen Ende der Welt?

Die Entwicklungen sind relativ vorhersehbar gewesen. Google versucht es mit der goldenen Karotte, und schüttet große Summen über einzelne Verlage. Durchaus denkbar, dass in dieser Phase vor allem die Verlage profitieren, die am meisten Lobbying betrieben haben, also sehr große Verlage. Die mittleren und kleineren werden hier großteils durch den Rost fallen. Und die Lösung der „Transferzahlungen“ an Verlage wird am Ende gar nichts lösen. Es gibt zwar Geld, aber in einer „Bittsteller-Beziehung“ als Good-will von Google. Die Abhängigkeit wird noch viel größer. Kurzfristig werden die Bilanzen bei einigen Großverlagen schöner aussehen, das wird Vorstände und Aufsichtsräte helfen und beruhigen, langfristig wird es damit noch viel schwieriger.

Facebook nimmt die andere Brechstange und spielt die Marktmacht aus. Facebook hat in den letzten Jahren aufgrund anderer Herausforderungen die Bemühungen im News-Segment etwas in den Hintergrund gerückt. Das ist absolut plausibel, dass man hier über einen gewissen Zeitraum die Abhängigkeit der Verlage zur Schau stellt.

Auf welcher Seite steht ihr? Macht Google das Richtige, oder Facebook?

Wir stehen auf der Seite der Publisher. Ich selbst komme aus dem Verlags-Bereich, und werde noch lange weiterkämpfen, bis wir diese gemeinsame, europäische Lösung hinbekommen haben. Ich glaube, es ist gar nicht so relevant, ob Google oder Facebook das Richtige machen, sondern die Frage ist, ob die Verlage das Richtige machen. Ich denke, man ist immer gut beraten, wenn ein Konkurrent neu aufkommt, und richtig gut ist, dass man das Ziel verfolgt, besser als dieser Konkurrent zu sein. Dieses Ziel haben viele Verlage bis heute nicht.

Sie sehen immer noch nicht, dass Google und Facebook nicht böse sind, sondern den Usern Tools und Anwendungen zur Verfügung stellen, von denen diese begeistert sind. Derzeit ist das Druckmittel der Verlage die Politik. Ich denke, die Situation wird sich besser lösen lassen, wenn das Druckmittel der Verlage eine Technologie und eine Lösung ist, wo Google und Facebook befürchten müssen, dass sich die Verlage aus der Abhängigkeit lösen.

Ist es nur eine Drohgebärde seitens Facebook, keine News mehr in Australien anzuzeigen, oder werden sie das wirklich durchziehen?

Die werden das mit Sicherheit über einen längeren Zeitraum durchziehen. Und man hat in anderen Ländern schon gesehen, dass die Macht von Google und Facebook in der Komplexität des Marktes mehr wiegt, als ein konstruiertes Gesetz. Einknicken tut letztendlich ja nicht das Gesetz, sondern der Verlag selbst, der es dann trotz Gesetz Google oder Facebook erlaubt, die Inhalte weiterhin zu verwenden.

Das ist dann eigentlich die große Gefahr, dass das völlig nach hinten losgeht. Dass das Ziel ja war, die Macht von Google und Facebook zu bremsen, letztendlich aber diese beiden profitieren, weil kleinere Marktteilnehmer durch das Gesetz ausgeschlossen werden, die Großen aber dann durch ihre Marktmacht doch das Okay der Verlage bekommen.

Startup Newsadoo: „Für uns ist das Leistungsschutzrecht positiv“

Das Leistungsschutzrecht (LSR) wurde in Deutschland oder Spanien bereits versucht, ohne große Erfolge. In Frankreich hingegen bezahlt Google Lizenzgebühren an Medien. Gibt es jetzt eine zweite Welle, dreht sich die Geschichte jetzt?

Seit so vielen Jahren wird in der Medienindustrie über Google und Facebook gejammert. Geändert hat sich nichts. Im Gegenteil, die Abhängigkeit steigt und steigt. Ich sehe diese Leistungsschutzrechts-Debatte eigentlich als großes Problem. Nicht weil ich dagegen bin, ich halte es für gut und logisch, dass ein Urheber selbst entscheiden kann wo und ob Teile seines Contents von jemand drittem wirtschaftlich verwertet werden.

Aber das Problem ist, dass sich viele Verlage seit Jahren weiterhin ausruhen, und meinen, dieses „Problem“ wird auf höherer Ebene gelöst – also politisch. In vielen Fällen ist es ja durch höhere Medienförderungen auch der Fall, dass die höhere Eben das Problem zu lösen versucht. Aber das alles lenkt davon ab, was eigentlich innovative Unternehmen – zu denen man Verlage auch zählen sollte – normalerweise tun. Nämlich selbst ihre Zukunft in die Hand zu nehmen, und besser zu sein als andere.

Woran scheitert es bei den Verlagen nach wie vor?

Die meisten Verlage sehen als ihre Konkurrenten immer noch den Verlag nebenan, die über die gleichen Inhalte schreiben und ähnliche Leserschichten ansprechen. Das ist aber Blödsinn. Die Konkurrenten sind seit Jahren andere. Vor 10 Jahren haben die Verlage weltweit zusammen noch doppelt so hohe Werbeumsätze gehabt wie Google und Facebook. Mittlerweile haben diese beiden alleine doppelt zu hohe Werbeumsätze wie alle Verlage der Welt zusammen.

Die Verlage sitzen im selben Boot, und dieses Boot droht nur deshalb nicht umzukippen, weil es am Seil der Küstenwache hängt. Das Problem muss gemeinsam von den Verlagen gelöst werden. Nicht durch Lobbying, sondern durch Innovation und konsequenter Ausrichtung darauf was die User eigentlich wollen, wie man sie begeistern kann. Hier gibt es viel Potential. Ein Leistungsschutzrecht kann nur ein Teil der Problemlösung sein, wird aber selbst das Problem nie lösen.

Können die Entwicklungen in Australien Signalwirkung auf Europa haben?

Es geht seit langer Zeit darum, Muskeln spielen lassen. Und in welchem Markt man die Muskeln spielen lässt, ist relativ egal, wenn es alle Marktteilnehmer mitbekommen. Also ja, ich denke, dass der europäische Markt für Google und Facebook ein noch bedeutenderer ist. Und insofern kann man das durchaus im Zusammenhang sehen, gerade weil in diesem Jahr auch in Europa das Leistungsschutzrecht in Kraft treten soll.

Google und Facebook haben mittlerweile eigene News-Programme, über die ausgewählte Publisher in ausgewählten Ländern Geld für ihre Inhalte bekommen. Ist das der richtige Weg – oder kommen dann nur jene großen Medien zum Zug, die eine starke Lobby bei den Online-Riesen haben?

Es ist wie vorhin gesagt die goldene Karotte die jetzt mal besänftigt. Die verhindern soll, dass Verlage wirklich grundlegende Änderungen anstreben. Und ich denke, es geht auch darum die Branche ein wenig zu spalten. Es gibt einige die von diesem Geld profitieren, das sind eher die großen, die verhalten sich dann einige Zeit ruhiger, und es gibt andere, die davon nicht profitieren und das für sehr ungerecht halten.

Damit wird die Konkurrenz unter den Verlagen noch mehr befeuert und Bestrebungen, dass aus der Branche etwas Eigenes, etwas Gemeinsames kommt, werden wieder schwieriger. So eine Milliarde ist für Google nicht so viel. Aber in der Branche ist das ein Riesen-Thema, das polarisiert und das beschäftigt. Und damit wird wieder viel Zeit vergehen, wo aus der Branche selbst relativ wenig Dynamik, Kreativität und Mut zu erwarten ist.

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