Analyse

Der N26-Betriebsrat ist ein Sieg der Mitarbeiter, der dem Fintech nur helfen kann

N26-Office im Wiener weXelerate. © Tamás Künsztler
N26-Office im Wiener weXelerate. © Tamás Künsztler

Stell‘ dir vor, du bist mit deinem Job in einem großen Startup-Unternehmen nicht zufrieden und findest Gleichgesinnte, mit denen du gemeinsam das Arbeitsklima und die -bedingungen verbessern willst. Die Idee, einen Betriebsrat ins Leben zu rufen, kommt auf. Während draußen Corona tobt und eine Wirtschaftskrise, setzt du eine Webseite auf. Anonym versteht sich, weil du Angst vor Kündigung hast. Zum Schutz der Identität wird eine Mail-Adresse bei ProtonMail eingerichtet. In einem anonymen Brief bezeichnest du das Vertrauen „auf einem historischen Tiefststand“ und kündigst an, einen Wahlvorstand einsetzen zu wollen, der dann die Wahlen zu einem Betriebsrat organisiert.

Diese Ankündigung stößt bei der Geschäftsführung auf Widerstand, und dein Bestreben wird vom Management in einem Mail an alle anderen Mitarbeiter als etwas bezeichnet, das „gegen fast alle Werte“ verstößt, nach denen die Firma tickt. Die Termine zur Wahl des Electoral Board werden von der Geschäftsführung mit zwei Einstweiligen Verfügungen torpediert, weil es angeblich kein Hygienekonzept für die Veranstaltungen gibt, zu denen die Mitarbeiter eingeladen werden.

Eine Eskalation der besonderen Art

Die Gewerkschaft springt ein und hilft, die Events doch abhalten zu können. Während dem Event schaut die Polizei vorbei, um die Hygiene-Bedingungen zu kontrollieren und zieht wieder ab. Am Abend entschuldigt sich der Chef der Firma dann für die „eskalierte Debatte“, nachdem weltweit Medien über die Vorfälle berichten, und schreibt, er hätte einen traditionellen Betriebsrat immer unterstützt, wenn auch er für eine moderne Version der Mitarbeiterrepräsentation gewesen wäre. Der Chef verspricht, dass die Betriebsratswahlen gemeinsam mit den Initiatoren sicher durchgeführt werden können.

Die Stimmung bei der Challenger-Bank N26 in Berlin muss am Boden sein, die Fronten zwischen den Gründern Valentin Stalf, Maximilian Tayenthal, ihren Managern und den Mitarbeitern verhärtet. Gerade haben die Initiatoren der Betriebsratswahlen (noch gibt es ja keinen Betriebsrat) mit Hilfe der Gewerkschaft ver.di und der empörten Öffentlichkeit einen Etappensieg errungen, und Stalf und Tayenthal (sie zählen zu den 100 reichsten Österreichern) tragen einen ordentlichen Image-Schaden davon.

N26-Mitgründer Valentin Stalf. © Jakob Steinschaden
N26-Mitgründer Valentin Stalf. © Jakob Steinschaden

Wie konnte es zum dem Aufstand der Mitarbeiter bei N26 kommen? Die Eskalation wäre seitens des Management vermeidbar gewesen. Denn die Situation hat sich, das muss in der Personalabteilung klar gewesen sein, ohnehin seit vielen Monaten zugespitzt. Bereits im Herbst 2019 gab es interne Unruhe, weil ein technischer Fehler dafür sorgte, dass man ohne Berechtigung die Kontobewegungen von Kollegen einsehen konnte, wenn diese ihr Gehaltskonto bei N26 haben. Die Behebung des Fehlers dauerte dann lange – wohl lange genug, bis sich die Gehälter vieler in der Firma herumgesprochen hatten.

Mitarbeiter beschweren sich schon lange

Klare Indizien für das belastete Arbeitsklima bei N26 gibt es auch auf dem Job-Bewertungs-Portal kununu. Diese Bewertungen zeigen: Waren sie vor einigen Jahren noch sehr gut, gibt es seit Mitte, Ende 2019 einen ordentlichen Knick nach unten, es werden seither maximal 2,5 von 5 Sternen vergeben. Dass es Kaffeeküchen gibt, man Hunde mitnehmen kann und die Mitarbeiter nett sind, wird positiv hervorgehoben – doch positive Worte über Management, Personalabteilung, Team Leads, Work-Life-Balance, Wertschätzung der Mitarbeiter oder Gehalt sucht man vergebens.

Die Initiatoren des Betriebsrats, die sich worker26 getauft haben, schreiben, dass es in der Vergangenheit schon viele Versuche gegeben hätte, die Arbeitssituation zu verbessern. „Viele von uns haben es jahrelang versucht: einzeln, von allen Seiten, auf Slack, in den Engagement-Surveys, aber mit sehr wenig Erfolg: Vorschläge wurden in leere Gesten verwandelt oder völlig missachtet“, heißt es seitens worker26. „Erst ein Betriebsrat wird den Beschäftigten eine echte, rechtsverbindliche Macht geben, sich Gehör zu verschaffen.“

Die N26-Gründer hatten zuvor in einer Mail, in der sie meinten, ein Betriebsrat würde „gegen fast alle Werte von N26 verstoßen“, Befürchtungen wurden geäußert, dass das Unternehmen langsamer werde, die Kultur des Vertrauens untergraben werde, die persönliche Karriereentwicklung eingeschränkt werde und das Maß an Konfrontation erhöht würde. Alle diese Punkte haben sich die N26-Manager aber selbst vorzuwerfen, davon zeugen die Aktionen rund um die Wahlen diese Woche und die Einträge auf den Job-Bewertungs-Portalen. Nicht der Betriebsrat, den es noch gar nicht gibt, hat das Vertrauen untergraben und das Maß an Konfrontation erhöht, sondern das Management selbst.

Druck von oben wird nach unten weiter gereicht

Fest steht auch, dass die N26-Führung unter enormem Druck stehen muss. Mit Investoren wie Tencent aus China oder dem Trump-Unterstützer Peter Thiel sind Shareholder an Bord, die für ihre Millionen Performance und ROI sehen wollen. 2020 soll die Zahl der Nutzer weltweit von fünf auf zehn Millionen verdoppelt werden – und das, obwohl N26 sich aus dem großen britischen Markt wegen zu scharfer Konkurrenz durch Revolut, Monzo und Starling wieder zurück gezogen hat.

Dazu kommt, dass der Hauptrivale Revolut aus London immer stärker wird und auch den US-Markt angreift, auf dem N26 2019 startete. Nun müssen auch dort Marketing-Millionen verballert werden, um die patriotischen Amerikaner davon zu überzeugen, ein Bankkonto bei einer deutschen Fintech-Bank zu eröffnen. Zwar hat N26 bereits fast 800 Millionen US-Dollar von Investoren erhalten, doch Revolut hat sich fast eine Milliarde Dollar geholt und dementsprechend mehr Kapital, um Wachstum zu kaufen. Berlin ist eben nicht London, trotz Brexit.

Gleichzeitig ist es eine offene Frage, wie und wann die Challenger-Banken überhaupt einmal positiv wirtschaften können. Von Revolut weiß man, dass sich die Verluste 2019 gegenüber 2018 verdreifacht haben – auf satte 120 Millionen Euro. Von N26 sind zur Zeit keine Zahlen für 2019 bekannt. 2018 lag der Verlust bei 73 Millionen Euro, wird 2019 vermutlich also bei dem anhaltenden Wachstumskurs deutlich über 100, wenn nicht sogar 120 Millionen Euro liegen.

Währenddessen denken die Investoren bereits daran, N26 an die Börse zu bringen, um dann Kasse machen zu können. Und weil WeWork und Uber vielen eine Lehre waren, wird es nicht mehr funktionieren, mit quartalsweise Verlusten einen erfolgreichen IPO hinzulegen – bei einer Bank schon gar nicht.

Betriebsrat als Partner verstehen

Doch ohne ein funktionierendes Team ist an einen IPO nicht zu denken. Stalf und Tayenthal sollten den Betriebsrat nicht als Feind in der eigenen Firma sehen, sondern als Partner. „Bei einem Betriebsrat geht es nicht um Konfrontation: Sein Zweck ist es, für den Erfolg des Unternehmens zu arbeiten, wobei ein besonderes Augenmerk auf die richtige Behandlung der Beschäftigten gelegt wird“, schreiben die worker26-Initiatoren.

Ängste, dass ein Betriebsrat den Wachstumskurs von N26, der essenziell für den Erfolg am Markt ist, beeinträchtigen könnte, beantworten sie so: „Geschwindigkeit ist nicht unbedingt dasselbe wie Effizienz. Wir alle können uns an mehrere Fälle erinnern, in denen übereilte Entscheidungen oder schlecht geplante Prozesse zu viel Stress, Überstunden, Einnahmeverlusten oder Bußgeldern seitens der Behörden führten. Die Genehmigung aller wichtigen Entscheidungen durch einen Betriebsrat beseitigt dieses Risiko und hilft dem Unternehmen, bessere Entscheidungen zu treffen.“

Vielleicht sollte sich die N26-Führung beim Motto des größten Fintechs der Welt eine Scheibe abschneiden und die Interessen der Mitarbeiter über jene der Shareholder stellen. Denn das Credo von Ant Financial lautet: „Customers first, Employees second, Shareholders third.“

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