EU-Regeln

Medical Device Regulation: „Für Startups stellt die MDR ein existenzielles Problem dar“

© Pixabay
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Den 25. Mai müssen sich Gründer und Teams von MedTech-Startups tiefrot im Kalender anstreichen. Denn das ist der Tag, an dem die neue Medical Device Regulation (MDR) der EU gilt. Die Verordnung für Medizinprodukte hat nach einer Übergangsfrist von drei Jahren das große Ziel, die Patientensicherheit zu erhöhen, indem es strengere Regeln für die Zulassung von Medizinprodukten gibt. Und unter diese Medizinprodukte fällt nunmehr auch Software, also Apps, die etwa der Vorhersage oder Prognose von Krankheiten dienen oder während der Therapie eingesetzt werden.

Dass die EU mit der MDR Jahrzehnte alte Regeln für Medizinprodukte erneuert, ist verständlich. Einer der wichtigsten Auslöser der Verordnung ist der PIP-Skandal, der 2010 ans Tageslicht kam und die Gerichte jahrelang beschäftigte. Die französische Firma Poly Implant Prothèse (deswegen PIP) hatte Brustimplantate aus billigem Industrie-Silikon verkauft – die leicht platzen konnten. Zehntausenden Frauen wurde die Entfernung empfohlen, es wurde wegen dem Verdachts der fahrlässigen Körperverletzung und Tötung ermittelt, der Firmengründer sitzt seit 2018 für vier Jahre hinter Gitter. Problematisch war bei dem Skandal auch die Rolle des TÜV Rheinland, der zwischen 1997 und 2010 die Brustimplantate mit dem europäischen CE-Qualitätssiegel versah.

„Massive Verzögerungen bei der Zulassung“

Die Medizinprodukteverordnung soll in der EU nun dafür sorgen, dass solche Dinge nicht mehr passieren. Die für alle EU-Staaten rechtswirksame Verordnung wurde 2017 mit einer dreijährigen Übergangsfrist in Kraft gesetzt, um die Sicherheit von Medizinprodukten zu verbessern – dafür sollen vor allem die Qualität der Zertifizierung verbessert und die Nachweispflichten der Hersteller verschärft werden. Betroffen sind etwa Zahnärzte, die Klammern, Zahnfüllungen, Zahnspangen oder Zahnkronen einsetzen, oder Hersteller von farbigen Kontaktlinsen oder Implantaten für ästhetische Zwecke – aber eben auch MedTech-Startups, die Hardware und Software zu Diagnostik und Therapie auf den Markt produzieren.

„Früher galt Europa als erster Markt für innovative Medizinprodukte. Mit der MDR ist zu befürchten, dass Produktinnovationen, insbesondere solche von Startups, erst verspätet den europäischen Patienten erreichen werden“, sagt Johann Harer, Geschäftsführer der Human.technology Styria GmbH, die sich intensiv mit der Thematik beschäftigt. „Es tun sich jetzt alle Firmen schwerer, aber kleine Firmen, die mit neuen Produkten auf den Markt wollen, werden mit massiven Verzögerungen und Belastungen bei der Zulassung zu kämpfen haben.“

Es fehlt an qualifiziertem Personal

Die MDR hat nicht nur direkt durch strengere Zulassungen eine Auswirkung, sondern auch indirekt. Denn bereits jetzt gibt es einen Mangel an den so genannten „Benannten Stellen“, die für die Zertifizierungen zuständig sind. Während in den USA die FDA als öffentliche Behörde für Zulassungen zuständig ist, sind es in der EU privatwirtschaftliche Unternehmen, die sich eine Zulassung holen, um als eine solche „Benannte Stelle“ arbeiten zu dürfen. Und da gibt es mittlerweile enorme Engpässe. Speziell bei Unternehmen, die Software machen, kann sich das stark auswirken.

„Bis 2017 gab es 84 Benannte Stellen, etwa die Hälfte davon ist ausgeschieden. Das hat teilweise wirtschaftliche aber auch Qualitätsgründe. Jede verbliebene Benannte Stelle hat jetzt den drei- bis vierfachen Arbeitsaufwand im Vergleich zu früher. Da es nicht genug hochqualifiziertes Personal für diese zusätzlichen Aufgaben gibt, erwarten wir in der Übergangszeit massive Kapazitätsengpässe“, sagt Harer. „Es gibt Schätzungen, dass bis zu 30 Prozent der derzeitigen Medizinprodukte vom Markt genommen werden.“

„Auch Software ist betroffen“

Die MDR und ihre Folgen für die Benannten Stellen könnte also erhebliche Auswirkungen für jene Unternehmen und Startups haben, die keine Zertifizierung mehr erhalten. Der deutsche Bundesverband Medizintechnologie schätzt, dass deswegen zehn bis 15 Pro­zent der Unternehmen und noch mehr Produkte vom Markt verschwinden wer­den. „Für Startups – also Firmen, die neu in den Markt gehen und vergleichsweise wenig finanzielle Ressourcen haben -, stellt die MDR ein existenzielles Problem dar. Das time-to-market wird sich im Schnitt um ein bis zwei Jahre verlängern. Damit wird es unattraktiver für Investoren, sich in dieser Branche zu engagieren“, sagt Harer.

Gerade dort, wo viele Startups (manchmal in Kombination mit Hardware) tätig sind, wird es besonders heikel. „Software ist von der neuen MDR-Regulierung massiv betroffen. Es gibt zwar Übergangsfristen, aber spätestens bei der nächsten größeren Software-Änderung muss die Zertifizierung erneuert werden“, sagt Harer. Und da Apps ja regelmäßig Updates bekommen, müssten diese dann auch immer wieder durch den Zertifizierungsprozess. Dazu kommt: Bei den Benannten Stellen gibt es kaum Fachpersonal, die sich mit Software auskennen.

Österreich ohne Zulassungsstelle

Besonders betroffen ist übrigens Österreich. Aktuell gibt es hierzulande gar keine Zulassungsstelle mehr, nachdem TÜV Austria und die Europaprüfstelle für Medizinprodukte an der TU Graz (PMG) zurückgezogen haben. Firmen müssen etwa nach Deutschland oder Slowenien ausweichen, wo es lange Wartelisten gibt. Immerhin: „Österreich hat zwar noch immer keine eigene Benannte Stelle, die QMD, eine Tochter der Quality Austria, hat immerhin dafür eingereicht“, so Harer.

Wie die Neuerungen und Fallen der MDR ein MedTech treffen können, zeigt der Fall der Wiener Firma Repuls. Sie arbeitet im Bereich Lichtmedizintechnik, ihre Lichttherapiegeräte können zur Bekämpfung von akuten oder chronischen Entzündungen und Schmerzen eingesetzt werden. Endlich dürfen die Geräte wieder verkauft werden, denn: „Nachdem die österreichischen Zulassungsstellen geschlossen haben, wurden auch uns die Zulassungen entzogen, und wir mussten den Zertifizierungsprozess wieder bei Null anfangen“, sagt Brigitte Rumpold, Geschäftsführerin von Repuls. „Es hat zwei Jahre gedauert, bis wir unsere Zulassung hatten. Wir konnte zwei Jahre keine Produkte verkaufen, und das bedeutet für eine Firma wie die unsere sehr schmerzhafte Einschnitte.“

„Schnell weg vom Fenster“

Die Latte liegt gerade für kleine und mittlere Unternehmen durch die MDR viel höher als zuvor. „Für eine Zulassung braucht man heute in den meisten Fällen eine klinische Studie. Wer da nicht vorsorgt, der ist schnell weg vom Fenster“, sagt Rumpold. Mittlerweile sagen Branchen-Kenner sogar, dass gerade Startups die Finger von MedTech lassen sollten – zu teuer, zu langwierig, zu aufwendig sind die Prozesse in Europa geworden.
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