Porträt

Marie Boltenstern: Eine junge Wiener Architektin rüstet die Goldschmiede ihres Vaters auf 3D-Druck um

Marie Boltenstern. © Sven Boltenstern
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„In Wien am Graben ein ­Geschäft aufsperren, das könnte ich auch machen, aber das ist nicht das Ziel.“ Einen Schmuckladen an Wiens luxuriöser Flanierstraße zu betreiben, das würde auch gar nicht zu Marie Boltenstern passen. Ihr bescheidenes Auftreten, ihr zurück­haltender Kleidungsstil, das verlegene Lächeln täuschen darüber hinweg, was in der 27-jährigen Wienerin wirklich steckt. Erst ein Blick auf ihre schlanken Arme und zierlichen Finger verrät, woher sie eigentlich kommt: Der elegante Goldschmuck an ihren Händen stammt aus der Schmiede ihres ­Vaters Sven Boltenstern, einer der bekanntesten Schmuckdesigner Österreichs, ausgezeichnet mit dem Österreichischen Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst.

© Sven Boltenstern
© Sven Boltenstern

Doch anstatt einfach die international anerkannte Marke von Papa weiterzuführen, hat sie sich Großes vorgenommen. Sie hat 2015 die Geschäfte von Sven Boltenstern übernommen und stellt als eine der ersten Luxus­marken der Welt die ­Produktion der teuren Schmuckstücke aus Gold und Silber auf ­direkten 3D-Druck um. Im Herbst soll die erste Kollektion auf den Markt kommen.

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Dass die junge Boltenstern ins Schmuckbusiness einsteigt, war nie geplant. Eigentlich ist sie eine gut ausgebildete Architektin, hat in Wien, Berlin und London studiert. In der britischen Hauptstadt ist sie erstmals mit einem 3D-Drucker in Nahkontakt gekommen. „Es war ein ziemlich cooles Gefühl, als ich damals das erste ­3D-­Objekt selber aus dem Drucker ­genommen habe“, sagt sie. Das Verständnis für am Computer modellierte 3D-­Objekte hat sich Bolten­stern über die Jahre im Rahmen des Architektur­studiums angeeignet, etwa als sie in Paris in einem Ingenieursbüro als 3D-Spezialistin Tragwerkstrukturen optimiert hat. Was für andere nicht zusammenpasst, liegt für Boltenstern ganz nah beieinander. „Schmuck ist Architektur in ihrer kleinsten Form“, sagt sie heute.

Unmögliches möglich machen

„Ich glaube, es wird kein Unternehmen überleben, das sich nicht verändert und sich einfach treiben lässt“, sagt Marie Bolten­stern. So zurückhaltend sie auch ist, man spürt trotzdem deutlich, wie ernst ihr die Sache ist. Der 3D-Drucker der Partnerfirma Cooksongold, mit dem bei Boltenstern bereits fleißig produziert wird, ist ihr Vehikel in die Zukunft – eine Zukunft, in der die 1964 gegründete Schmuck-Brand noch Relevanz hat und auf ­Höhe der Zeit agiert. Maries 84-jähriger Vater, der aus dem Tages­ge­schäft ausgestiegen ist, ist von der Idee angetan. Er kommt täglich in die Werkstatt und lässt seine Ideen einfließen. „Der Papa findet das cool und freut sich, dass es weitergeht. Er hat schon ­gewusst, dass das Geschäft nicht für immer so weitergeht, wie es einmal war.“

Auch die Goldschmiede, manche seit 40 Jahren für die ­Wiener Firma mit Zweigstelle in Berlin tätig, sind von dem neuen Gerät (einem „Precious M 080″ von Cooksongold mit sogenannter „Direct ­Metal ­Laser Sintering“-Technologie) angetan. Vereinfacht gesagt schmilzt das Gerät mit einem Laser Metallpulver (Gold oder ­Silber) Schicht für Schicht zu einem Objekt zusammen, das ein 3D-Modell des Computers vorgibt. Das ist eine Neuheit, denn bis dato wurde Edelmetall in der Schmuckbranche mittels eines Wachsverfahrens zu 3D-Objekten geformt. Von billigen 3D-­Drucken aus Plastik hebt sich die Technologie in der Qualität ­sowieso deutlich ab.

Der Precious M 080 von Cooksongold. © Cooksongold
Der Precious M 080 von Cooksongold. © Cooksongold

„Ich sehe den 3D-Drucker nicht als Ersatz fürs Handwerk, sondern als Ergänzung. Einfache Formen kann man per Hand herstellen, aber der Drucker kommt bei komplexeren Formen ins Spiel, die per Hand nicht herstellbar sind“, sagt Boltenstern, die nicht nur Geschäftsführerin, sondern auch Chefdesignerin der Marke ist. Der Drucker könne etwa hohle Objekte oder Gliedersysteme schaffen, die ansonsten nur durch Zusammenlöten von Einzelteilen machbar sind. „Da geht es um Geometrien, um Logiken, um mathematische Prozesse.“ Ihr Talent nahm unter anderem auch Swarovski in Anspruch, als man Boltenstern die Krönchen der diesjährigen Opernball-Debütantinnen kreieren ließ.

Start-ups als Inspiration

Die Eingabe, aus der Leidenschaft für 3D-Druckerei ein Geschäft machen zu können, kam Boltenstern dann in Berlin. Die deutsche Hauptstadt ist seit Jahren ein Schmelztiegel der Start-up- und Kreativszene, eine Metropole, in der helle Köpfe mit Risikobereitschaft aus ganz Europa zusammenkommen und ständig an neuen Projekten feilen. Nach dem Studium sagte sich Bolten­stern: „Ich will mich nicht die nächsten 50 Jahre in einem Architekturbüro versklaven lassen.“ Dann kam die Entscheidung: Die Erfahrungen aus der Berliner Start-up-Szene, der 3D-Druckerei an der TU Wien und London und der Architektenpraxis in Paris brachten Boltenstern zu der Überzeugung, das alte Geschäft ihres Vaters ins 21. Jahrhundert führen zu können. „Papa hat mich nie dazu gedrängt oder auch nur nachgefragt, aber er war ziemlich erleichtert, als ich gesagt habe, dass ich das Geschäft übernehmen will.“

© Sven Boltenstern
© Sven Boltenstern

Auf der etablierten Marke ihres Vaters (ihm wurden bereits zahlreiche Ausstellungen gewidmet) aufbauen zu können, ist für die Designerin natürlich ein großer Startbonus. „Viele glauben, dass ich das kleine Mädchen bin, das da jetzt herumprobiert, aber das ist überhaupt nicht so“, sagt sie. Im ersten Jahr hätte sie viel lernen müssen, Angst vorm Scheitern hätte sie wie jeder andere Jungunternehmer auch, und auf dem Ruf ihres Vaters wolle sie sich schon gar nicht ausruhen. Ihr Geschäftssinn blitzt auf, wenn sie darüber spricht, sich neben Österreich und Deutschland auch bald auf die Schweiz und London fokussieren zu wollen. „Dort gibt es im Luxussegment ja eine andere Kaufmentalität“, sagt sie mit einem Schmunzeln.

Dass sie zahlungskräftige Kundschaft damit abschrecken könnte, glaubt sie nicht. Schließlich würden die Gold- und Silberstücke aus der Maschine nach wie vor von den Schmieden nachbearbeitet werden, und ihre Computerdesigns sorgen für Einzig­artigkeit. „Am Ende des Tages ist dem Kunden wichtig, ein schönes, hochwertiges Produkt zu ­haben.“ Auch ins B2B-Geschäft will sie und ihr 3D-Druck-Know-how jenen Schmuckmarken ­anbieten, die noch nicht so weit sind. Bis dahin ist aber noch ein ordentliches Stück Arbeit zu leisten, Boltenstern muss zuerst einmal alles „radikal“ auf die neue Technologie umstellen und sich mit ihrer ersten ­Kollektion am Markt behaupten. „Ich sag immer: Wir sind ein Start-up mit 50 Jahren Geschichte.“

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