Reportage

Great Brother: Wie London der heimischen Start-up-Politik als Blaupause für Innovationen dient

Die immer futuristischer werdende Skyline Londons. © peresanz/Fotolia
Die immer futuristischer werdende Skyline Londons. © peresanz/Fotolia

Der Ruf von London als innovativer Start-up-Hub hat mittlerweile auch Cupertino, Kalifornien, erreicht. Denn von dort ist  2014 ein hochrangiger Apple-Ingenieur, der für die in der Apple Watch verbauten Technologien zuständig ist, aufgebrochen, um sich in der britischen Hauptstadt mit einem Start-up zu treffen, das an Gesundheits-Wea­rables arbeitet – für Apple offenbar ein interessanter Gesprächspartner, um sich über neue Möglichkeiten bei Körpersensoren zu informieren. So wie Apple und viele andere Technologiefirmen, Start-up-Gründer oder Investoren zuvor, ist vergangene Woche auch eine Delegation rund um Staatssekretär Harald ­Mahrer (VP) in die Metropole an der Themse aufgebrochen, um sich die zugrunde liegenden Strukturen und Einrichtungen des Innovations-Hubs aus nächster Nähe anzusehen.

Magnet an der Themse

Einer Analyse der Webseite startup­travels.com zufolge ist London ­neben San Francisco, New York, Berlin und auch Wien eine der wichtigsten Reisedestinationen für Jungunternehmer. Kein Wunder: An der Themse floriert nicht nur die Start-up-Szene (zum Beispiel: TransferWise, SwiftKey, Shazam oder busuu), auch Google oder Facebook betreiben hier große Büros; und London als eines der Finanzzentren der Welt bietet Gründern auf der Suche nach Risikokapital viele Chancen. Allein zwischen Jänner und März wurden einer Analyse von der Stadtagentur London and Partners zufolge 647 Millionen US-Dollar in Start-ups aus der Metropole investiert – 2015 soll die Zwei-Milliarden-Grenze locker gesprengt werden.

Dass die Innovationsbranche in Großbritannien floriert, hat auch viel mit staatlicher Unterstützung zu tun, die eine lange Tradition hat. Gerne wird vor Ort die Geschichte erzählt, dass im Land bereits 1714 das erste ­Innovationsprogramm gestartet wurde. Damals wurden nämlich die Longitude Rewards von der Regierung ausgeschrieben, um Forscher mit einem satten Preisgeld anzuspornen, eine simple Methode zur Bestimmung des geografischen Längengrads bei Schiffspositionen zu finden. Den Longitude Prize hat die Nationale Stiftung für Wissenschaft, Technik und Kunst im Vereinigten Königreich (Nesta) aktuell noch ausgeschrieben – zehn Millionen Pfund winken demjenigen, der das Problem der Antibiotikaresistenz löst. Der Medienpartner BBC sorgt für Aufmerksamkeit. Nesta vergibt außerdem Zuschüsse an Individuen oder Institutionen von bis zu mehreren Hunderttausend Pfund, die Innovationsprojekte umsetzen. Eines dieser Projekte etwa hat zum Ziel, Demenzpatienten mit Wearables (am Körper tragbaren Mini-Computern) auszustatten, ihnen so die Navigation durch den Alltag zu erleichtern und parallel der Forschung Echtzeitdaten über das Patientenverhalten zu liefern. Damit die Innovationsbegeisterung beziehungsweise die Auseinandersetzung mit der Digitalisierung auch bei der breiten Masse ankommt, hat Nesta im März 2015 das FutureFest abgehalten, auf dem unter anderem NSA-Whistle­blower Edward Snowden per Live-Schaltung zum Publikum sprach. Laut Nesta-CEO Geoff Mulgan würden etwa 15 bis 20 Prozent der Briten Angst vor Globalisierung und Digitalisierung haben, doch vor einigen Jahren waren es noch 40 Prozent.

Katapulte für Innovation

Mit der Digitalisierung ist man auch – was auch sonst – im freundlich-offenen Digital Catapult Centre nahe den Londoner Büros von Google und Face­book beschäftigt. Die Einrichtung gehört zu einem staatlich geförderten Netzwerk aus derzeit sieben Zentren, in denen an Stammzelltherapien, Smart Cities oder erneuerbaren Energiequellen gearbeitet wird. Im Digital Catapult, wo junge Techniker neue Gadgets wie einen fiebermessenden Schnuller für Babys entwickeln, geht es derzeit stark um das Thema „Personal Data Stores“, also darum, wie Bürger im Big-Data-Zeitalter die Kontrolle über ihre derzeit oft in der ominösen Internet-Cloud (das heißt die Server von Facebook, Google und Co.) gespeicherten Daten zurückgewinnen können. Die Vision: Menschen sollen ihre Daten (zum Beispiel die Krankenakte) vertrauensvoll und einfach mit Behörden und Unternehmen teilen können, ohne dass diese außerhalb ihres Einflussbereichs gespeichert werden. Die öffentliche Einrichtung Innovate UK, die vom Wirtschafts- und Innovationsministerium finanziert wird, will die Zahl der Catapult-Zentren bis 2030 auf 25 erhöhen – ihr Budget von rund 500 Millionen Euro pro Jahr könnte unter der alten neuen Regierung von Cameron schon bald verdoppelt werden.

Auch der Internetkonzern Google sieht sich als Katapult für die Tech-Branche. Im lebendigen Hipster-Stadtteil Shoreditch hat man den London Campus eingerichtet, der gerne als „Starbucks für Start-ups“ bezeichnet wird. Hier bekommen Entwickler, junge Einzelunternehmer oder kleine Teams Gratis-Internet und -Arbeitsplätze – inklusive angeschlossenen Café, Tischfußball und eines Testlabors mit zahlreichen Smartphones und Tablets, auf denen neue Apps ausprobiert werden können. Für Google ist die Einrichtung eine Art Seismograf der Szene: Jeden Tag sollen sich hier rund 200 Vertreter von Start-ups aufhalten, insgesamt haben sich hier seit dem Start vor drei Jahren Tausende Start-ups angemeldet. Google wäre nicht Google, wenn es nicht Daten wie E-Mail-Adresse, Firmenname, Alter des Start-ups, Branche und Webseite sammeln würde.

Regieren mit Schubsern

Eine Herausforderung, vor der man wie in Österreich auch in den Catapult-Zentren steht, ist, die Forscher unternehmerisch denken zu lassen – schließlich ticken die Welt der Wissenschaft und die des Business anders. Für Forscher ist es wichtig, ihre Ergebnisse schnell zu publizieren, um in der Scientific Community Anerkennung zu finden. Die Krux: Was einmal publiziert ist, kann später nicht mehr patentiert werden, um ein konkurrenzfähiges Produkt auf den Markt zu bringen – „patent first, publish later“ ist eine simple, aber wichtige Devise, die den Wissenschaftlern gerne und oft vorgebetet wird. Die britische ­Regierung will aber nicht nur Wissenschaftler zum Umdenken bewegen, sondern auch die Bevölkerung. Die sogenannte „Nudge Unit“ („Nudging“ bedeutet Stups oder Schubs) wird seit 2010 vom Behavioural Insights Team (BIT) rund um den Psychologen David Halpern geführt, der Premier Cameron berät. „Nudging“ ist eine Methode, die darauf abzielt, mit positiven Anreizen statt mit Verboten und neuen Regeln das Verhalten von Menschen zu beeinflussen – also Anstoß statt Anordnung. Die „Nudge Unit“ in Großbritannien etwa hat an säumige Steuerzahler den Hinweis „Pay your tax or lose your car“ in einem personalisierten Brief adressiert.

Das Ergebnis: Die Zahl der Zahlenden konnte verdoppelt werden, wenn ein Foto vom betroffenen Auto gezeigt wurde, ergab das sogar eine Verdreifachung. Auch in den USA, Deutschland oder Dänemark gibt es bereits Nudging-Teams, die auf verschiedenste Art eine Verhaltensänderung der Bevölkerung etwa in Bereichen wie Energiesparen, Pensionen oder Verkehr herbeiführen wollen. Kritiker sprechen allerdings von poli­tischen Psychotricks und Manipu­lation.

Österreich will lernen

„Ich fühle mich in unserer Entscheidung bestätigt, das Thema Innovation in den Mittelpunkt zu stellen. Egal wo man hingeht, man sieht: Die Welt ist im Umbruch“, sagte Staatssekretär Mahrer im Rahmen der London-Reise. Er will neben einer Gründerland-Strategie 2015 auch seine Open-Innovation-Strategie vorantreiben und Grundlagenforschung oder Risikokapitalmarkt stärken – auch einer Nudge Unit in Österreich wäre er nicht abgeneigt, auch wenn deren Erfolg nicht garantiert wäre. „Man muss den Mut haben, Dinge zu machen, ohne zu wissen, was herauskommt. Das fällt der Politik schwer, aber wir müssen uns auch erlauben, einmal zu scheitern. Wenn man nichts macht und die Komfortzone nicht verlässt, dann wird man auf alle Fälle scheitern“, so Mahrer, dessen nächste Arbeitsreise nach Asien führt. „Ich sehe China nicht als Gefahr, sondern als unfassbare Chance. Innerhalb der nächsten sieben Jahre wird China sein gesamtes Innovationsbudget mehr als verdoppeln. Die Digitalisierung betrifft alle Lebens- und Industriebe­reiche, und China hilft uns, das zu erkennen. Wir müssen uns auf unseren Content- und Kreativ-Reichtum, den wir in Europa haben, konzentrieren, und diese kreative Power kommt aus der Start-up-Szene. Wenn die Flut kommt, dann dürfen wir keine Mauern, sondern müssen Boote bauen.“

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