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Gas Flaring: Wie die Ölindustrie jetzt Bitcoin-Mining ins Visier nimmt

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In der nigerianischen Ölstadt Afiesere im Niger-Delta gehört es zum Alltag, dass Einheimische mit der Hitze einer Gasfackel „krokpo-garri“, also Tapioka aus der Maniokwurzel, backen. Dieses Gas Flaring, also das Verbrennen von Gasen, die bei der Förderung von Öl entweichen und aus unterschiedlichsten Gründen nicht verwertet wird, ist ein weltweites Phänomen.

Jedes Jahr werden laut Weltbank etwa 150 Milliarden Kubikmeter Erdgas abgefackelt, wodurch 400 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente und andere Schadstoffe freigesetzt werden. Würde man dieses Gas als Energiequelle nutzen, damit laut Internationaler Energieagentur komplett Mittel- und Südamerika mit Energie versorgen.

Doch in der Öl- und Gasindustrie greift derzeit eine neue Idee um sich. Denn man kann Gasflaring auch zum Minen von Bitcoin einsetzen. Dabei wird das Erdgas vor Ort verbrannt, um Strom zu erzeugen, mit dem dann wiederum Großrechenanlagen angetrieben werden, die im Bitcoin-Netzwerk hängen, Transaktionen bestätigen und Miner mit neuen BTC für ihren Aufwand belohnen. Federführend dabei ist das US-Unternehmen Crusoe Energy System, das erst vor wenigen Tagen eine Finanzierungsrunde von 505 Millionen US-Dollar bekannt gegeben hat (Trending Topics berichtete).

„Digital Flare Mitigation“ heißt der Prozess, mit dem dem Unternehmen zufolge CO2-Äquivalent-Emissionen um bis zu 63 Prozent im Vergleich zum routinemäßigen Abfackeln des entweichenden Gases. Teile der Ölbranche haben sich ohnehin zu einem Stopp von Routine Gas Flaring (RGF; eine Praxis so alt wie die Industrie selbst) bis spätestens 2030 bekannt; die auf 100 Milliarden Dollar geschätzten Kosten für ein weltweites Ende der Praxis sind dabei hoch. Da kommt die Idee, mit der zuvor ungenutzten Energiequelle Bitcoin zu minen, gerade recht.

Gas Flaring im Niger-Delta. Locals backen "krokpo-garri" mit Hilfe der Hitze aus Gas Flaring. © World Bank
Gas Flaring im Niger-Delta. Locals backen „krokpo-garri“ mit Hilfe der Hitze aus Gas Flaring. © World Bank

 

Minen statt bloß Abfackeln

Crusoe Energy Systems, erst 2018 von Chase Lochmiller und Cully Cavness in Denver gegründet, hat bereits einige Rechenzentren eingerichtet. In Montana, North Dakota, Wyoming und Colorado laufen sie bereits, auch im Permian-Basin Texas und New Mexico sollen sie eingerichtet werden. und Diese hätten die Kapazität zur Verringerung der CO2-Äquivalent-Emissionen von schätzungsweise 650.000 Tonnen pro Jahr, was dem Wegfall von etwa 140.000 Autos auf der Straße entspricht, heißt es aus dem Unternehmen. Vor allem Methangas könne man zu 99,89 Prozent verringern. Das ist einerseits gut, weil gerade Methan (CH4) als besonders schädliches Treibhausgas bekannt ist. Das Abfackeln und Nutzen der Energie bedeutet aber auch, dass Methan und andere flüchtige Kohlenwasserstoffe durch das Abfackeln zu Kohlendioxid (CO2) und Wasserdampf verbrannt werden. Außerdem entstehen beim Flaring giftige Substanzen wie Schwefelverbindungen und Quecksilber.

Gas Flaring ist heute immer noch gängige Praxis, weil das Erdgas an entlegenen Orten wie etwa Bohrinseln nicht oder nur sehr teuer weiterverwertet werden könnte – zum Beispiel fehlen LNG-Terminals zur Verflüssigung des Gases oder Pipelines, um es weiter transportieren zu können. Stattdessen wird es in die Atmosphäre gelassen und einfach verbrannt. Umweltfreundlich ist das keinesfalls, und verschwenderisch obendrein. Wie erwähnt sind deswegen Teile der Erdölindustrie der Global Gas Flaring Reduction Partnership (GGFR) der Weltbank beigetreten. Darüber hinaus gibt es die ZRF-Initiative (Zero Routine Flaring). Ziel ist, Gas Flaring bis spätestens 2030 komplett einzustellen und das Gas anderen Verwendungen zuzuführen.

Crusoe Energy Systems: Halbe Milliarde für Bitcoin-Miner, die überschüssiges Gas abfackeln

US-Ölriesen setzen auf Crusoe Energy Systems

Der GGFR sind seit 2015 einige Staaten wie Kanada, Irak, Mexiko, Nigeria oder Norwegen beigetreten. Doch mit Russland, Iran, den USA und Venezuela fehlen vier der sechs größten Flaring-Länder der Welt. Auch bei den Ölriesen, die mit dabei sind, finden sich viele große Namen wie BP, Shell, Exxon Mobile, Eni, Chevron, Total, Quatar Energy, Equinor (Norwegen) oder die Kuwait Oil Company – doch sowohl Saudi Aramco (der größte Ölkonzern der Welt) als auch russische Ölunternehmen fehlen bei den Mitgliedern.

Einige der GGFR-Mitglieder sind aber bereits aufs Bitcoin-Mining mittels Flaring-Energie gekommen. So hat der norwegische Staatskonzern Equinor im Jahr 2020 angefangen, die Gase aus ihren Bohrungen in den USA an Crusoe Energy zu verkaufen (mehr dazu hier). Exxon Mobile hat in der ölreichen Bakken-Formation, die sich über Teile von Montana, North Dakota und South Dakota in den USA erstreckt, ein Projekt gemeinsam mit Crusoe Energy Systems am Laufen. Und auch ConocoPhilips, hinter Exxon Mobile und Chevron drittgrößter US-Ölkonzern (und früher für die JET-Tankstellen bekannt) will überschüssiges Gas, das ansonsten einfach nur abgefackelt werden würde, an Bitcoin-Miner verkaufen.

© Crusoe Energy Systems

Bitcoin-Mining: Eine von vielen Möglichkeiten

Doch wie aus Dokumenten der Weltbank und der deutschen Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) hervorgeht, ist Bitcoin-Mining mittels Energie aus Gas Flaring nur eine von mehreren Möglichkeiten, das Erdölbegleitgas, wie es Expert:innen nennen, zu nutzen. „Es gibt mehrere Möglichkeiten, um das Erdgas zu nutzen: Verstromung, Re-Injektion in die Erdöllagerstätte, Herstellung von Flüssiggas oder als Ausgangsprodukt für die petrochemische Industrie“, heißt es etwa seitens BGR. „Da sich Erdgas auch für den Betrieb von Kleinanlagen eignet, kann es zur Elektrifizierung ländlicher Gebiete genutzt werden. Dies ist besonders dort von Bedeutung, wo alternative Energiequellen kaum vorhanden sind. Aus Erdölbegleitgas kann auch Propangas hergestellt werden: Dieser saubere Energieträger eignet sich beispielsweise zum Kochen.“ Generell sei das überschüssige Gas eine mögliche Quelle für Strom, und da ist von Bitcoin-Mining noch gar keine Rede.

Laut Internationaler Energieagentur (IEA) gibt es drei Möglichkeiten, mit dem Begleitgas sinnvoll umzugehen:

  1. Tragbare CNG (Compressed Natural Gas) oder Mini-LNG-Anlagen (Liquified Natural Gas) zur Gasaufbereitung vor Ort
  2. Direkte Nutzung vor Ort oder Energieumwandlung
  3. Kleine Gas-zu-Methanol– oder Gas-zu-Flüssigkeit-Umwandlungsanlagen

Das alles bedeutet natürlich vor allem eines: hohe Investitionen. Die Weltbank hat Crusoe Energy Systems immerhin am Zettel und listet das Verfahren als eines von vielen anderen, was man mit dem Begleitgas anfangen könnte. Und da zeigt sich: Es gibt viele Alternativen (von mobilen Gas-Turbinen über Mini-LNG-Anlagen bis hin zu kleinen Compressed Natural Gas-Technologien), doch Crusoe wird als einzige innovative Technologie gelistet. Und bietet eben den für einige Ölriesen entscheidenden Vorteil: Der Return On Invest (ROI) heißt Bitcoin.

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