Pricing

Experte Thomas Haller: „Der richtige Preis eines Startup-Produkts entscheidet über Scheitern oder Erfolg“

Thomas Haller, Österreich-Chef der Pricing-Agentur Simon Kucher & Partner ©Gerald Reischl
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Der Preis eines neuen Automodells, Mobilfunkvertrags, Online-Abos oder Smartphones ist nicht willkürlich – große Unternehmen und Konzerne lassen die Preise ihrer Produkte von Pricing-Experten abchecken, weil der Preis den mit Abstand größten Effekt auf den Gewinn eines Unternehmens hat. In den USA nutzen auch Startups die Dienste von Pricing-Agenturen, weil der richtige Preis eines innovativen Produktes oder Dienstleistung über Bestehen und Scheitern entscheiden kann.

Thomas Haller ist der Pricing-Experte Österreichs und leitet das Wiener Büro von Simon Kutcher & Partner. Mit seinem Team berät er mehr als 150 Unternehmen aus den Branchen herstellende Industrie, Energiewirtschaft, Telekommunikation sowie Handel und Dienstleistung. Im TrendingTopics-Interview spricht er darüber, warum sich auch europäische Startups mit dem Thema Pricing auseinandersetzen sollten und warum ihnen das einen internationalen Wettbewerbsvorteil bringen würde.

TrendingTopics: Dass Konzerne wie Porsche den Preis für einen neuen Cayenne am Markt abchecken lassen, ist bekannt. Aber ist es wirklich auch für Startups wichtig, sich über das Thema Pricing Gedanken zu machen?

Thomas Haller: Der Preis ist, wie es der Ökonom Hermann Simon formuliert, das zentrale Scharnier in der Wirtschaft. Alles dreht sich um den Preis, insofern ist das Thema natürlich auch für Startups ein sehr zentrales für den künftigen Markterfolg. Wer ein neues Produkt auf den Markt bringt oder eine neue Dienstleistung anbietet, sollte sich gut überlegen, wie viel Geld er dafür verlangt. Insofern gilt das für jedes Startup, ganz unabhängig vom Geschäftsmodell.

Um wie viel erfolgreicher könnte ein Startup sein, wenn es sich Gedanken um den richtigen Preis machen würde?

Ich erlebe in meiner Arbeit immer wieder, dass sich Unternehmer viel zu spät systematisch über den Wert ihrer Leistung Gedanken machen und damit hinterfragen, welchen Nutzen sie mit ihrem Produkt oder Dienstleistung dem Kunden stiften. Wenn das Produkt schon fertig ist, dann ist es oft zu spät. Daher sehe ich dieses Thema sehr fundamental: Wer sich keine Gedanken über die bestmögliche Beziehung zwischen dem Produkt/der Leistung des Unternehmens und dem Nutzen für den Kunden sowie den Kosten- und Wachstumstreibern macht, der wird vermutlich schon auf der Startlinie liegen bleiben bzw. die erste Finanzierungsrunde nicht überleben.

Der richtige Preis müsste doch Teil jedes Business-Plans sein?

Ganz genau. Schon dem ersten Businessplan sollte eine tiefe Auseinandersetzung mit den künftigen Preisen zugrunde liegen. Oft werden aber stumpfe Kosten-Plus-Ansätze oder wettbewerbsorientierte Preisansätze gewählt. Aber für Startups geht es – wie übrigens für alle anderen Unternehmen auch – darum, zukünftige Erlös- und Vertriebsmodelle ganzheitlich zu entwickeln. Welche Veränderungen gibt es beim Konsumentenverhalten, bei Technologien, bei Regulierungen, beim Wettbewerb etc.?

Welche Effekte kann ein falscher Preis haben?

Grundsätzlich muss man zwei Effekte vermeiden, nämlich, dass sich die erwartete Nachfrage wegen eines zu hohen Preises nicht einstellt und das Produkt im schlimmsten Fall sogar vom Markt genommen werden muss. Oder die Nachfrage explodiert wegen eines zu niedrigen Preises, weil man die vorhandene Preisbereitschaft nicht abgetestet hat; das könnte wiederum zu Lieferengpässe führen und es könnte auch das Service darunter leiden. Mitunter können bei einem Startup-Produkt kleine Euro-Beträge darüber entscheiden, ob ein Produkt gekauft wird oder ein Ladenhüter wird. Schlicht und ergreifend geht es immer um den optimalen Preis, der sich im Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage und somit am Markt durch die Transaktion zwischen Verkäufer und Käufer ergibt.

Der richtige Preis kann bei einem Startup über Erfolg bzw. Misserfolg, Investment, Internationalisierung oder Kundenakzeptanz entscheiden. Gibt es erfolgreiche oder schlechte Beispiele die Sie kennen?

Rund 70 Prozent der Startups scheitern innerhalb der ersten 20 Monate. Hauptgrund ist laut einer Studie von CB Insights mangelnde Marktnachfrage. Hier muss man sich fragen, was die tatsächliche Ursache für das Versagen war. War es wirklich das Produkt und sein Leistungsversprechen, das niemand verstanden hat? War man vielleicht zu „früh“ am Markt und die Kunden waren noch nicht bereit? Oder hat womöglich ein falsches Preismodell in Verbindung mit einem schlechten Pricing das frühe Aus bedeutet? Mir fällt da ein Zitat von Ex-CEO von Microsoft, Steve Ballmer, ein, der 2014 in einem Interview sagte: „This thing called ‚price‘ is really, really important. I still think that a lot of people under-think it through. You have a lot of companies that start and the only difference between the ones that succeed and fail is that one figured out how to make money, because they were deep-in thinking through the revenue, price, and business model. I think that’s under-attended to generally.“

Schlechte Beispiele gibt es – wenn mehr als zwei von drei Startups scheitern – also wie Sand am Meer?

Leider. Ich bin überzeugt, dass viele Opfer ihrer Technikverliebtheit wurden und den Kunden zu spät berücksichtigt haben. Kurz: wer die Nutzen- und Preisfrage zu spät stellt, der fliegt mit hoher Wahrscheinlichkeit rasch aus dem Rennen.

Aber reden wir kurz über jene, die nicht scheitern. Was machen die anders? Haben Sie ein gutes Beispiel parat?

Spontan fällt mir refund.me ein. Basis für dieses Geschäftsmodell ist eine EU-Verordnung, die allen Passagieren von und nach Europa und mit Stop-over auf europäischem Grund Kompensationen zugesteht, wenn ihr Flug deutlich verspätet ist oder gar ausfällt. refund.me ist ein Entschädigungsdienstleister, der Flugreisenden bei der Durchsetzung ihrer Rechte gegenüber Fluggesellschaften hilft, notfalls auch vor Gericht. Das Erlösmodell ist direkt an den Nutzen der Kunden gebunden. Geschädigte Fluggäste müssen nicht stundenlang Warteschleifenmusik ertragen, sondern lassen die Profis von refund.me die Entschädigung erstreiten. Im Erfolgsfall bekommt refund.me eine Provision von 25 Prozent (zzgl. Steuer) der Entschädigung. Eine Provision ist nur im Erfolgsfall fällig. Aus Sicht der Kunden ideal, denn er kann „nur“ gewinnen. Die Gründer haben ihr Geschäftsmodell wirklich gut durchdacht.

Gab es schon einmal ein Startup in Österreich oder Europa, das Ihre Dienste in Anspruch genommen hat?

Ich habe mich bislang lediglich auf der Buy-Seite mit Startups beschäftigt und dort die Market Due Diligence begleitet. Da ist mir oft aufgefallen, dass in den meisten Fällen das Erlösmodell wenig innovativ war und damit die vertrieblichen aber auch wachstums- und ertragsseitigen Chancen oft limitiert waren. Aber mein Partnerkollege Madhavan Ramanujam arbeitet seit vielen Jahren im Silicon Valley und dort ist Pricing für Startups ein Muss. Er hat seither mehr als 200 Unternehmen/Startups in der Tech- und Internet-Szene beraten. Das ist vermutlich auch ein Grund, dass Startups aus dem Valley erfolgreicher sind. Wir sehen in den USA einen rasant wachsenden Bedarf an Pricingberatung für Startups. Investoren achten sehr genau darauf, ob sich jemand intensiv mit dem Erlösmodell auseinandergesetzt hat oder nicht. Oft ist es Teil der Innovation.

Startups haben für Pricing vermutlich keine Budgetmittel. Wie kann man ihnen Pricing schmackhaft machen?

Das Buch „Preisheiten“ von Hermann Simon lesen. Das meine ich ernst. Es gibt viel Literatur zum Thema. Das ist der einfachste und günstigste Weg, um sich von der Bedeutung des Thema Preises einen fundierten Überblick zu verschaffen. Wenn man die Bedeutung nicht erkennt, dann wird man auch keine Bereitschaft haben Geld dafür zu investieren. Insofern ist die Bewusstseinsbildung zum Thema Pricing vielleicht der erste Schritt für ein ökonomisch erfolgreiches Startup.

Könnte Pricing4Equity eine Option sein? 

Wir haben grundsätzlich ein Vergütungsmodell auf Basis von Tagsätzen die nach Erfahrung bzw. Expertenwissen der jeweiligen Berater variieren. Pricing4Equity ist durchaus eine interessante Option, die wir intern im Partnerkreis intensiv diskutieren. Wir sind da allerdings mit unseren Überlegungen noch nicht am Ende.

Simon-Kucher & Partners gilt weltweit führend beim Thema Pricing. Im Jahre 1985 gegründet, ist Simon-Kucher heute ein globales Unternehmen mit mehr als 1000 Mitarbeitern an 34 Standorten in 23 Ländern. Thomas Haller leitet seit 2007 das Wiener Büro.

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