Analyse

Dynatrace: Wie eine in Linz gegründete Software-Firma zu einem Unicorn heranwächst

Dynatrace-CTO Bernd Greifeneder. © Dynatrace
Dynatrace-CTO Bernd Greifeneder. © Dynatrace
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Die Server, Datenbanken und Hosts laufen reibungslos, alle Applikationen werken einwandfrei, die Cloud meldet keine Probleme, und die Nutzer klicken munter durch die Online-Angebote: Wer das auf einen Blick von einem Bildschirm ablesen kann, der arbeitet mit guten Chancen bei einem großen Unternehmen, das auf so genanntes “Application Performance Management” (APM) setzt. Die in Linz gegründete Software-Firma Dynatrace versteht sich als Marktführer in dem Bereich – mit einem Marktanteil von 15 Prozent vor Branchen-Riesen wie IBM, Cisco (AppDynamics), Oracle oder Microsoft.

Dynatrace liefert mit seiner Monitoring-Software Kunden wie Adobe, eBay, Swarovski, T-Mobile oder Verizon quasi einen Röntgenblick auf ihre gesamten digitalen Assets. Die Idee, die in der Linzer Reuchlinstraße mit den drei Gründern Sok-Kheng Taing, Hubert Gerstmayr und Bernd Greifeneder begann, ist bis heute zu einem Unternehmen mit 1.700 Mitarbeitern weltweit gereift. Das technische Herz sitzt mit einem 300-köpfigen Team weiterhin in Linz, angeführt von CTO Greifeneder. Lag der Umsatz 2016 bei 430 Millionen Dollar, soll er im Geschäftsjahr 2019 auf eine Milliarde Dollar anwachsen. Wenn man so will, hat man es bei Dynatrace (heute eine 100-Prozent-Tochter der auf Business-Software spezialisierten Investmentfirma Thoma Bravo) mit dem ersten Software-Unicorn “made in Austria” zu tun.

Mieses Marketing als Startschuss

Begonnen hatte alles mit schlechtem Marketing. „Ich habe innerhalb meiner damaligen Firma neue Produktideen umgesetzt, nur war die Firma zu dumm, um diese zu vermarkten“, erzählt Bernd Greifeneder heute über seine Zeit vor Dynatrace. Er ging damals einem Halbtags-Job als CTO eines österreichischen IT-Unternehmens nach. „Die Teilzeit hat mir erlaubt, in der Freizeit Produkt-Research zu betreiben und Prototypen für eine neue Produktidee zu entwickeln.“ Produkt und IP behielt Greifeneder nach der Kündigung 2005 und gründete damit Dynatrace.

Bei Dynatrace im Büro. © Dynatrace
Bei Dynatrace im Büro. © Dynatrace

Gemeinsam mit Hubert Gerstmayr, der sich um die Finanzen kümmerte und Sok-Kheng Taing, die Marketing und Vertrieb in die Hand nahm, wurde eine neue Firma aus der Taufe gehoben. „Ich habe gewusst, dass es jemanden für Vertrieb und Marketing braucht. Das war es ja, was mich in meiner vorherigen Firma immer so geärgert hatte – dass das Marketing so mies war“, meint Greifeneder dazu. Und aus heutiger Sicht kann gesagt werden, dass das Team funktionierte: Greifeneder entwickelte als CTO die Monitoring-Software Dynatrace weiter, es gelang, erste große Aufträge an Land zu ziehen und amerikanisches Venture Capital – 5 Millionen Dollar– aufzunehmen.

Dynatrace wuchs und 2007 stellte Greifeneder am Standort Boston einen CEO ein. Mit klarem Ziel: „Um nicht kleinkarierte Lösungen zu entwickeln, haben wir vom Start weg an einem Produkt für den Weltmarkt gearbeitet.“ 2009 sicherten sich Bay Partners und Bain Capital Ventures mit 12,9 Mio. Dollar zwei Drittel an Dynatrace.

Im „Sauhaufen“ von Compuware 20 Mio. Entwicklungsbudget

2011 wollte der amerikanische Großrechner-Gigant Compuware sein Angebotsspektrum erweitern und übernahm Dynatrace komplett. „Jetzt waren wir eingegliedert in eine Business Unit bei Compuware. Unser CEO wurde zum General Manager dieser Business Unit. Die war allerdings ein echter Sauhaufen – die wusste nicht einmal, ob Gewinn oder Verlust gemacht wurde. Im Endeffekt war sie stark negativ“, beschreibt Greifeneder eine schwierige und zugleich fruchtbare Zeit.

Denn Greifeneder ging bei Compuware eigene Wege: „2013, noch innerhalb der Compuware-Zeit, haben wir beschlossen, eine neue Generation unseres Produktes zu bauen. Wir haben sozusagen ein Startup innerhalb der Firma gegründet. Formal gesehen war das keine rechtliche Einheit, aber informell war ich dort der CEO, mit dem Ziel, die neue Generation von Dynatrace zu entwickeln. Mein Jahresbudget dafür war fast 20 Mio. Unvorstellbar, wenn man in den Maßstäben eines Startups denkt.“

Das Ergebnis auf Produktebene: Eine Software, die es sehr großen IT-Infrastrukturen ermöglicht, sich automatisiert zu überprüfen und zu reparieren: „Dynatrace verhilft zu einer autonomen IT. Das heißt, dass die IT voll automatisiert ist. Sie heilt sich selbst. Und die IT-Mitarbeiter können sich voll auf das Business und neue Funktionen kümmern, um konkurrenzfähiger zu werden.“

Bereits ein Einhorn?

Zur Firmenbewertung äußert man sich bei Dynatrace derzeit nicht öffentlich. Doch immer wieder wird in der Branche gemunkelt, dass die Software-Firma bereits bei einer Bewertung von einer Milliarde Dollar hält oder zumindest auf dem besten Weg dorthin ist. Dazu kann man folgende Berechnungen zu Hilfe ziehen: Software-Unternehmen werden oft auf Basis eines Multiples ihres Jahresumsatzes bewertet. Laut Bloomberg liegt der Multiple für Software-Unternehmen derzeit beim 3- bis 3,6-fachen – damit wäre Dynatrace bereits im Geschäftsjahr 2016 (430 Mio. Dollar Umsatz) ein so genanntes Einhorn.

Eine konservativere Schätzung bietet die Dunn-Rankin-Formel. Sie besagt, dass Software-Unternehmen mit einem Revenue-Multiple zwischen 1 und 2 bewertet werden. Wenn Dynatrace 2016 rund 430 Millionen Dollar Umsatz machte und 2019 die Milliarde überschreiten will, könnte man im Geschäftsjahr 2017 von einem Umsatz zwischen 600 und 650 Millionen Dollar und im Geschäftsjahr 2018 von einem Umsatz zwischen 750 und 800 Millionen Dollar. Zieht man einen durchschnittlichen Umsatz-Multiple nach Dunn-Rankin von 1,5 heran, würde Dynatrace spätestens 2018 die Milliardenbewertung überschreiten.

Dazu muss auch gesagt werden: Unternehmensbewertungen machen nur dann Sinn, wenn es auch Käufer und Verkäufer gibt, die sich auf einen solchen Preis einigen.

Das Produkt: Vom Monitoring zur Automatisierung

Aber jetzt zurück zum Produkt. Durch die drastisch verkürzten Produktzyklen bleibe für langwierige Tests oft nicht mehr genügend Zeit. Beinahe im Viertelstunden-Rhythmus kämen neue Server dazu und das an den unterschiedlichsten Orten der Welt. Das Ursprungsprodukt von Dynatrace, eine Monitoring-Suite für sehr große Server-Systeme, bekommt in Zeiten von Cloud und IoT weit mehr zu tun – und muss es weitaus schneller erledigen als zu Dynatrace-Gründungszeiten: Mit Dynatrace ist es heute möglich, jede Veränderung in den teilweise weltweiten IT-Netzwerken von Firmen über alle Bausteine hinweg in Echtzeit zu messen. Diese Informationen werden wieder ins System eingespielt und durch eine selbstheilende Software so weit wie möglich automatisch korrigiert. Ausfällen wird so vorgebeugt.

Die Software von Dynatrace. © Dynatrace
Die Software von Dynatrace. © Dynatrace

Das leistet Dynatrace auch etwa für die Analyse von Customer Journeys, zum Beispiel in Online-Shops: „Weil unser System erkennt, was der erste fallende Dominostein ist, können wir den Domino-Effekt – also die Fehlerkette bis hin zu abgebrochenen Transaktionen – verhindern. Das ermöglicht es unseren Kunden, proaktiv zu handeln, bevor großer wirtschaftlicher Schaden entsteht“.

Befreiungsschlag und die Lösung des Innovations-Dilemmas

„2015 gelang der Befreiungsschlag, als Thoma Bravo Compuware aufkaufte, mit dem Ziel Dynatrace, der wichtigste Teil von Compuware mit Wachstumschance, rauszubringen“, erzählt Greifeneder und ist stolz auf das Zurückgewinnen der eigenen Identität: „Heute hat Dynatrace wieder die Dynatrace-Kultur. Deswegen nenne ich das auch wirklich einen Befreiungsschlag. Wir haben die Agilität eines Startups zurückbekommen, obwohl wir 1600 Mitarbeiter haben.“

Das unter Compuware begonnene Projekt schlug schließlich Wurzeln und überholt heuer zum ersten Mal die Monitoring-Produkte der ersten Entwicklungsphase: „Jetzt sind wir soweit, dass sich das neue Produkt pro Quartal umsatzmäßig verdoppelt. Ab April 2018 vertreiben wir nur noch das neue Produkt mit dem schlichten Namen Dynatrace, so wie die Company.“

Dynatrace gelang es aus sich selbst heraus innovativ zu sein, ein altes Produkt fließend von einem neuen, erfolgreicheren abzulösen: „Das Ziel ist, in den nächsten Jahren auf eine Milliarde Umsatz zu wachsen. Wir haben dazu die beste Markt- und Produkt-Situation.“

Use Case Deutsche Bahn: So spart Dynatrace Millionen

Im DB-Onlineshop scheiterte jede vierte Anfrage, also: Jedes vierte mögliche Online-Ticket wurde nicht verkauft. Der dadurch entstandene Schaden ging in die Millionen und die genauen Ursachen konnten nur äußerst mühsam ermittelt werden. Die Fehlersuche durch die eigene IT-Abteilung dauerte damals typischerweise rund drei Wochen.

Um das Problem schneller zu lösen, wandte sich die Deutsche Bahn an Dynatrace. In einem ersten Schritt wurde jede einzelne Transaktion im Detail analysiert, es wurden Muster identifiziert und schließlich den IT-Spezialisten der Deutschen Bahn mitgeteilt, wo diese eingreifen müssen. Die benötigte Zeit für die Fehlersuche konnte so von drei Wochen auf 15 Minuten reduziert werden.

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