Satire-Portal

Die Tagespresse-Gründer Fritz Jergitsch: „Ich muss mit dieser Arbeit mittlerweile meine Miete bezahlen”

Der Schmähführer der digitalen Generation: Fritz Jergitsch (24). © Michael Appelt/trend
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Hunderttausende Österreicher amüsieren sich täglich über seine Texte, die gerne Politiker aufs Korn nehmen – doch wenn man Fritz Jergitsch (24), dem Gründer des Satire-Portals Die Tagespresse gegenüber sitzt, dann gibt es keine Witze zu hören, sondern Business. “Ich bin kein extrovertierter Alleinunterhalter, sondern einer, der vom Hintergrund aus bissig beobachtet. Auf einer Party stehe ich auf der Seite und schiebe Kommentare über die Leute, die vorbeigehen”, sagt Jergitsch. “In meiner Familie gab es nie jemanden, der auf einer Bühne gestanden ist, geschweige denn Kabarettist war.” Seine virtuelle Bühne, www.dietagespresse.com, ging im Mai 2013 online und erreicht im Netz heute laut Österreichischer Web Analyse Plus (ÖWA Plus) mehr als 400.000 Leser im Monat – Unique Clients sind es mittlerweile rund 590.000 pro Monat.

Artikel wie “Mache heuer Urlaub zu Hause’: Mikl-Leitner fährt zwei Wochen nach Mordor”, “Traiskirchen-Besuch: Faymann fragt, ‘wer zum Teufel hierfür verantwortlich ist’” oder “Hunderte psychisch kranke vermutet: Ärzte ohne Grenzen verlangt Zutritt zum Parlament” treffen regelmäßig den Nerv seiner etwa 230.000 Facebook-Fans. Mit Werbung auf der Webseite verdient Jergitsch genug, um sich sein Leben zu finanzieren (“wie ein Angestelltengehalt”) und Honorare für freie Schreiber (darunter Jürgen Marschall von “Willkommen Österreich” und Sebastian Huber vom Ö3 Wecker) auszahlen zu können. “Es ist natürlich immer noch viel Spaß dabei, aber ich muss mit dieser Arbeit mittlerweile meine Miete bezahlen”, so Jergitsch, der sein Studium mittlerweile aufgegeben hat und gar nicht so genau weiß, ob er überhaupt noch inskribiert ist.

Auf den Schultern von Facebook

So spektakulär der rasante Aufstieg von Die Tagespresse (für das Weihnachtsgeschäft kommt bereits das dritte Buch heraus, wieder ein “Best of” des Jahres), so unspektakulär wirkt Jergitschs Lebenslauf. Gymnasium in Wien, dann Zivildienst, dann Studium der Volkswirtschaft in Utrecht mit Bachelor-Anschluss, zur Miete in einer Altbauwohnung in Wien, die eben aussieht, wie Studentenwohnungen aussehen. Dann aber 2013 die zündende Idee. “Es gab schon einige Satire-Seiten, aber die haben es meiner Meinung nach falsch gemacht. Fake-News-Seiten müssen ans Internet angepasst sein, der Witz muss schon in der Schlagzeile ersichtlich sein”, so der 24-Jährige. Und so machte er es einfach besser. Der erste Artikel, “Gelangweilter EU-Kommissar will Zellteilung regulieren” erschien Ende Mai 2013, seit damals zeigt die Kurve nach oben. “Das ist aus der Wut entstanden, die ich damals wegen der Saatgutregulierung hatte”, sagt Jergitsch, der Stermann & Grissemann, Alfred Dorfer und den US-Komiker Jon Stewart zu seinen Vorbildern zählt. “Die Tagespresse ist dann zu einem Ventil geworden, mit dem ich meinen Ärger über die Politik Luft machte. Man kann sich grün und blau ärgern und ist ohnmächtig. Das Schreiben ist für mich eine Möglichkeit geworden, doch etwas zu machen.”

Ohne Facebook, in Österreich mit 3,2 Millionen monatlich aktiven Nutzern, wäre der Erfolg von Jergitsch nicht möglich gewesen. Dort kann er die Tagespresse-Artikel gratis veröffentlichen, wo sie sich in Windeseile viral per “Like” und “Share” verbreiten und Leser auf seine Webseite schaufeln – 70 Prozent der Zugriffe kommen über das Social Network. Das ist zwar enorm hilfreich, doch entwickelt sich mittlerweile auch zum Problem. “Bei den Besuchern erreichen wir bald einen Peak, weil wir auf Facebook schon eine sehr große Reichweite haben. Uns kennt jetzt wirklich schon jeder und wir können dort keine neuen Leserschichten mehr erschließen”, sagt Jergitsch. Deswegen will er im Oktober eine eigene Smartphone-App auf den Markt bringen, um einen direkten Draht zur Leserschaft aufzubauen und von Facebook unabhängiger zu werden. Mit Push-Benachrichtigungen sollen die Nutzer dann täglich darüber informiert werden, wenn es einen neuen Artikel gibt.

Die zweite große Herausforderung: Jergitsch und seine Schreiber müssen täglich qualitative Satire abliefern, um die Nutzerzahlen zu halten. Der Tagespresse-Gründer sichtet dazu Online-Medien und Facebook-Diskussionen, um Themen zu finden. “Wir sind davon abhängig, dass die Parteien Blödsinn machen. Und wenn sie Blödsinn machen, dann kommt die Subjektivität ins Spiel, weil man als Rechter oder Linker etwas anderes für Blödsinn hält. Deswegen gelingt es uns nicht, unsere eigene politische Meinung zu verstecken, aber das macht nichts, weil Satire eben politisch ist”, so Jergitsch. “Wenn mal gar nichts los ist, dann greife ich Dauerthemen auf, etwa die Eurofighter, Karl Heinz Grasser oder die Wiener Linien.” Der meist gelesene Artikel ist übrigens eine Hitler-Satire: “Brief lag jahrelang auf Postamt herum: Aufnahmebestätigung der Kunst-Uni erst jetzt an Adolf Hitler zugestellt” brachte mehr als eine Million Klicks. Jergitsch: “Hitler-Witze funktionieren deswegen so gut, weil sie ein Tabu-Bruch sind, und das Lachen darüber wirkt umso entlastender.”

David gegen Goliath

Die Tagespresse genießt große Freiheiten in ihren Veröffentlichungen, Grenzen, worüber sie sich lustig macht, gibt es aber natürlich schon. “Mit dem richtigen Opfer kann man sich über jedes Thema lustig machen. Man darf sich natürlich nicht über das Leid der Flüchtlinge lustig machen, aber man kann die Hilflosigkeit der Behörden anprangern”, sagt Jergitsch. Keine Gnade kennt er für Österreichs Politiker, die regelmäßig ihr Fett abbekommen. Interventionen hätte es bis dato keine gegeben. “Die Parteien wissen alle, dass es nach hinten losgeht, wenn sie mich verklagen würden. Je kleiner der Gegner, desto leichter kann man verlieren, wenn sich die Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit abspielt”, so Jergitsch.

Weil der Satiriker mittlerweile seinen Lebensunterhalt mit seinem einstigen Hobby verdient, muss er sich auch ums Werbegeschäft kümmern. Und da beschreitet er neue Wege: Werbekunden können Advertorials buchen, die im Stil der anderen Artikel geschrieben werden. Mit diesem so genannten „Native Advertising“ glaubt Jergitsch, am Werbemarkt nach wie vor ein Alleinstellungsmerkmal zu haben. Damit seine Leser die Werbeartikel von den anderen Texten unterscheiden können, besteht er auf eine klare Kennzeichnung. Unternehmen würden seit dem Sommer erhöhtes Interesse an der neuen Werbeform zeigen und hätten schon einiges gebucht. Zipfer war der erste Kunde und bewarb ein neues alkoholfreies Bier mit dem Artikel “Forscher finden Wundermittel gegen Affären bei Betriebsfeiern” – fast 700 Facebook-Nutzern gefiel das ganz gut.

„Würde Social-Media-Manager werden“

Wie und ob Jergitsch die Herausforderungen am Werbemarkt, mit der mobilen App und der verflachenden Kurve bei den Nutzerzahlen meistern kann, wird sich im Laufe des nächsten Jahres weisen. Wenn es langfristig nicht funktioniert, dann hat Jergitsch wohl kein Problem, sich einen Job in der Medienbranche zu besorgen. “Wenn ich die Tagespresse nicht mehr machen würde? Ich glaube, ich würde Social-Media-Manager werden.” Und das ist kein Witz.

Dieser Artikel ist zuerst im Magazin „trend
bestseller Medien Spezial 2015“ erschienen.

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