Sturzsensor

fearless: Wiener Startup cogvis befreit Senioren von Notruf-Armbändern

fearless ist etwa so groß wie ein Föhn und wird an die Wand montiert. © cogvis

Das Wiener Startup cogvis hat ein Gerät entwickelt, das Räume überwacht und erkennt, wenn darin jemand stürzt. Für die Altenpflege könnte die Technologie eine Revolution bedeuten. Bewohner von Pflegeheimen müssen keine Alarmknöpfe mehr drücken und nicht neben oder auf Sensormatten schlafen. Die intelligente Software soll auch in der Prävention immer besser werden, sprich: Stürze erkennen, bevor sie passieren.

Sogar Demenz-Früherkennung denkbar

Bereits jetzt alarmiert fearless, wie das Gerät heißt, Pfleger auch dann, wenn ein Bewohner in der Nacht aus dem Bett aufstehen will, weil er vielleicht vergessen hat, dass er dafür schon zu schwach ist. Und bald könnte der Sensor auch tagsüber eingreifen, bevor etwas passiert. „Studien sehen eine Korrelation  zwischen der Ganggeschwindigkeit oder der Art des Aufstehens und dem Sturzrisiko und wir arbeiten daran, Bewegungen dahingehend zu analysieren“, erklärt cogvis-CEO Rainer Planinc. In Zukunft sei sogar eine Demenz-Früherkennung denkbar, weil auch die eine Abweichung in den Bewegungsabläufen verursacht.

Der Sensor ist etwa so groß wie ein Haarföhn und wird an die Wand oder einen Kasten montiert. Er erzeugt ein Netz aus Infrarot-Punkten und die Software erstellt daraus ein 3D-Modell. Das besondere an der Software ist, dass sie zwischen Objekten und Menschen unterscheiden kann und schließlich anhand der Bewegung oder Position der Person erkennt, ob sie gestürzt ist oder stürzen könnte. Über Datenschutz müsse man sich keine Sorgen machen, versichert Planinc: „Die Software erkennt keine individuellen Menschen und fertigt keine solchen Bilder an – sie weiß nicht, ob Herr Müller oder Frau Maier gestürzt ist“. Zudem geschieht die Datenverarbeitung direkt im Gerät.

Rainer Planinc von cogvis © cogvis
Rainer Planinc von cogvis © cogvis

Senioren statt Bankräuber

Begonnen hat cogvis eigentlich in einem ganz anderen Bereich. Das Startup ist aus mehreren Forschungsprojekten der TU Wien hervorgegangen und hat sich zunächst auf die Früherkennung von Bankräubern spezialisiert. Uni-Professor Martin Kampel und Michael Brandstötter wollten die Forschungserkenntnisse in sinnvolle Produkte umsetzen und haben deshalb cogvis gegründet. „Die Idee eines der Projekte wäre gewesen, anhand von Bewegungsmustern mit Überwachungskameras Menschen zu erkennen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Bankraub vorhaben, erzählt Planinc. Das Forschungsprojekt ergab jedoch, dass sich Bankräuber schlicht und ergreifend nicht durch bestimmte Bewegungsmuster von anderen Menschen unterscheiden. Cogvis konzentrierte sich jedenfalls zu Beginn auf Bilderkennungs-Anwendungen für den Security-Bereich.

Fünf Millionen Bilder manuell auswerten

2011 erkannte das Team, dass die Technologie auch für die Altenpflege interessant sein könnte und entwickelte fearless. Das war der Moment, als Planinc zu dem Startup gestoßen ist. 2017 trennte sich cogvis komplett von der Security-Sparte und seit Anfang des Jahres ist fearless auf dem Markt. Planinc, der selbst aus der Forschung kommt, musste feststellen, dass ein im Forschungsumfeld getesteter Prototyp in der Realität auf ganz neue Hindernisse stößt: „Da gibt es plötzlich Rollatoren oder große Hunde, an die in der universitären Entwicklung niemand gedacht hätte“.

Also hat das Startup etwa fünf Millionen Einzelbilder manuell ausgewertet, um die Software zu schulen. Auf 5.000 Stunden Videomaterial haben Mitarbeiter 120 echte Stürze von anderen Zwischenfällen oder Objekten unterschieden. Jetzt erkennt fearless 95 Prozent der Stürze zuverlässig. Bei der Aufsteherkennung liegt der Sensor derzeit bei einer Genauigkeit von 90 Prozent – „weil die Funktion noch recht neu ist und noch nicht so viel getestet wurde“, erklärt Planinc.

Derzeit wird der Sturzsensor nur in Pflegeheimen und betreuten Wohngemeinschaften eingesetzt. Die Kunden sind Heime in Tirol, Vorarlberg, Salzburg und Wien – in Summe sind derzeit rund 80 Installationen aktiv. fearless ist in die jeweiligen Alarmsysteme der Pflegeeinrichtungen integriert und wird über eine Web-App verwaltet. Dort kann das Personal einstellen, wie sensibel ein Sensor reagieren soll und wie der Alarm gesendet wird – nur über das interne System oder etwa per SMS.

fearless soll gemietet werden

Nach der ersten Einführungsphase soll ein Sensor für Pflegeeinrichtungen rund 850 Euro kosten. Erst in etwa eineinhalb Jahren will cogvis fearless auch für Privatkunden anbieten. Dann strebt das Startup ein Mietmodell an, wie es auch für andere Notrufsysteme üblich ist. Der Preis würde mit 40 Euro pro Monat um etwa fünf bis 15 Euro über dem Preis für Notrufarmbänder liegen. Aber: „fearless gibt den Leuten Lebensqualität zurück“, ist sich Planinc sicher. „Sie brauchen keine Sensoren am Körper tragen und Notruf-Armbänder werden oft als entwürdigend empfunden“.

Hohes sechsstelliges Investment

Das Jungunternehmen will in den nächsten zwei Jahren erst einmal in Österreich Fuß fassen und denkt dann an eine Expansion in andere europäische Länder – zuerst in Deutschland, der Schweiz und Schweden. „Von der Altersstruktur her wäre auch Japan interessant, aber das ist für unser 13-köpfiges Team derzeit zu weit weg“, so der cogvis-CEO. Im März sind private Investoren mit insgesamt 700.000 Euro in das Unternehmen eingestiegen – die beiden Gründer Kampel und Brandstötter halten nach wie vor zusammen knapp mehr als zwei Drittel der Firma. Cogvis, so hofft Planinc, soll sich in Zukunft über den Markt finanzieren und kein weiteres Risikokapital benötigen.

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