Little Britain

Berlin frohlockt, London kämpft: Wie sich der Brexit auf die europäische Start-up-Branche auswirkt

So long and thanks for all the fish and chips. © Fotolia/pixs:sell
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Die knappe Entscheidung des britischen Volkes, aus der EU austreten zu wollen, hat auch die Start-up-Szenen in ganz Europa in Schock versetzt. Immerhin gilt London seit vielen Jahren als der wichtigste Start-up-Hub der EU und als Sprungbrett in den englischsprachigen Markt. Auch etliche österreichische Unternehmer haben London als Standort für ihre Projekte und Jungfirmen auserwählt, außerdem ist die britische Hauptstadt auch für heimische Investoren interessant. Im Zuge von Brexit drohen nun massive Veränderungen. In Berlin wird etwa gefrohlockt, dass man nun London als wichtigste Start-up-Metropole Europas ablösen wird. „Die deutsche Start-up-Hauptstadt Berlin ist der Gewinner des Brexit, London der Verlierer“, meinte der Vorsitzende des Bundesverbandes Deutsche Startups, Florian Nöll, gegenüber der dpa.

In London, wo der überwiegende Teil der Start-up-Szene für einen Verbleib in der EU votierte, reagierte man zuerst geschockt auf das Ergebnis, berichtet der Österreicher Bernhard Niesner. Er führt in der britischen Hauptstadt seit einigen Jahren das Sprachlern-Start-up busuu, wo 80 Prozent der Mitarbeiter aus dem EU-Ausland stammen. „Prinzipiell ändert sich die nächsten zwei Jahren relativ wenig, da sich UK weiterhin innerhalb der EU befindet. Weiters gibt es den parteiübergreifenden Konsens, dass die ‘Digital Industry’, in der hier bereits mehr als 1,5 Millionen Menschen arbeiten, strategisch wichtig für den Standort London ist und dies auch so bleiben soll“, so Niesner. „Daher kann man davon ausgehen, dass EU-Mitarbeiter in der digitalen Branche mit einem bestehenden Arbeitsvertrag auch nach dem Austritt weiterhin in der UK arbeiten dürfen. Die Branche geht auch davon aus, dass eventuell spezielle Anreize wie das ‚Tech Nation Visa Scheme‘ geschaffen werden, die vorher nicht EU konform gewesen wären, um noch mehr Entwickler- und Entrepeur-Talente aus der EU abzuziehen.“ Vorbild könnten die USA oder Australien sein.

Insgesamt sei die Stimmung in London gar nicht so schlecht. „Nach zwei Tagen Katerstimmung macht sich somit langsam etwas Optimismus breit, an dem es Entrepreneurs ja bekanntlich nie mangelt“, sagt Niesner.

Schwieriges Investment-Klima

Wichtig sei, dass Großbritannien zügig Handelsverträge mit der EU abschließt, um die Teilnahme am EU-Markt weiterhin zu gewährleisten, so Niesner weiter. Er geht davon aus, dass sich das Investitionsklima aufgrund der politischen Unsicherheiten kurzfristig negativ entwickeln werde. Aber nicht notwendigerweise für alle. „Start-ups wie busuu, welche ihren Umsatz zu 95 Prozent außerhalb UK machen, könnten daher sogar attraktiver für Investments werden als Londoner Start-ups, die ihre Dienstleistungen oder Produkte nur innerhalb von GB anbieten“, sagt Niesner. „Da der Finanzplatz London jetzt um so mehr um den Standort kämpfen muss, könnten auch für institutionelle Investoren spezielle steuerliche Anreize geschaffen werden, die vorher aufgrund des EU-Wettbewerbsrechts nicht möglich waren. Man geht daher davon aus, dass die London auch weiterhin den Spitzenplatz bei Venture Capital in Europa behalten wird.“

In Kontinentaleuropa ist man derweil nicht so optimistisch. „Risikokapital ist eine sehr sensible Asset-Klasse. Die Stimmung ist 2016 schon deutlich vorsichtiger als vorher. Das Risiko ist, dass diese gesamte politische Verunsicherung sich nun auch auf den Investment-Appetit generell übersetzt“, sagt Oliver Holle, Chef des Wiener Risikokapitalgebers Speedinvest, der etwa in das britische FinTech-Start-up Curve investiert hat. „In den USA sind VC-Investments ja schon massiv runtergefahren, dass kann uns nun in der EU auch passieren. Dieses negative Makroklima ist mein persönliche größte Sorge für die Start-up-Community.“

Gut für Berlin

„Freier Personenverkehr war und ist ein zentraler Angelpunkt eines jeden Ökosystems. Hier droht UK mittelfristig der größte Schaden. Inwieweit das wirklich London als Start-up-Metropole bereits kurzfristig schadet, hängt sehr stark von den nächsten Wochen und Monaten ab“, sagt Oliver Holle von Speedinvest. „Verstärkt sich das Bild einer krisengeschüttelten Nation, die sich abkapselt oder gibt es eine Gegenbewegung, die hier auch proaktiv Stimmung für ein globales Miteinander macht?“ Ausschließlich negativ für London wäre Brexit nicht, da Gründer „oftmals dorthin gehen, wo es cool ist“, die faktischen Rahmenbedingungen wären oftmals weniger wichtig. „Man könnte ja sogar argumentieren, dass durch den niedrigen Pfund London wieder attraktiver als Start-up-Standort wird.“

„Für internationale Start-ups hat sich London hiermit von Platz ein zu Platz zwei bis drei hinter Berlin und Dublin verlagert“, sagt Andreas Klinger, der beim Silicon-Valley-Start-up Product Hunt arbeitet und mit seiner mittlerweile aufgelösten Jungfirma Lookk vor einigen Jahren nach London gegangen ist. „Ich vermute, England wird versuchen, sich als Steuer-freundliche Alternative für internationale Companies zu positionieren. Aber unklar ist, ob das reichen wird. „Ich bin gespannt, wie laut Berlin und Dublin nun die Promo-Trommel für ihren Standort anstarten.“

Aufwertung für Wien

Auch der Wiener Start-up-Coach Alexander Franz weist darauf hin, Dublin auf der Rechnung zu haben. „Irland bietet sich weiterhin steuerlich für Unternehmen wie Google oder Facebook an“, schreibt Franz. „Für Start-ups, die sich in der Vergangenheit London als Brückenkopf in die EU ausgesucht haben, schaut die Sache etwas anders aus. Mit dem Austritt der Briten ist der deutschsprachige, kontinentale Markt innerhalb der EU für US-Startups ein ganzes Stück wichtiger geworden.“ Auch für Wien sei Brexit aus Standortsicht positiv zu sehen. „Die Standorte Berlin und Wien werden indirekt aufgewertet, weil beide den Zugang zum gemeinsamen Markt der EU ermöglichen. Sie sind eine gute Startbasis für den deutschsprachigen Raum, aber auch zu Zentral- und Osteuropa. Letzteres ist der große Vorteil von Wien gegenüber Berlin.“

„Für mich persönlich fällt hiermit jeder Anreiz weg, ein Unternehmen in Großbritannien zu betreiben“, sagt der Österreicher Roman Mittermayr, der seine Firma TwentyPeople Ltd. in London aufgebaut hat und den Twitter-Analyse-Dienst Fruji sowie den Instagram-Publishing-Service busy.io betreibt. Die kompletten Ersparnisse und Guthaben des Unternehmens würden jetzt in der Hand der Währungskurse liegen. „Ich persönlich spiele mit dem Gedanken weiterzuziehen. Initiativen wie Atlas von Stripe (zum einfachen Gründer einer Firma in den USA, Anm.) sind nun unglaublich attraktiv und ich werde mir das auch näher ansehen jetzt. Es bleibt abzuwarten, ob sich die Lage jetzt dramatisch verändert in England, und bis dahin werde ich wohl Zeit haben, mir einen neuen Plan zurechtzulegen.“

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